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Sexismus- und Rassismusaffäre: PIRATEN fordern Sondersitzung des Innenausschusses

Freiheit, Demokratie und Transparenz Landtag

Meine Stellungnahme zu der heutigen Erklärung des Innenministers betreffend die Polizeischule Eutin:

“Nach und nach fängt die Polizeiführung an, die von uns geforderten Konsequenzen aus ihrem Versagen im Sexismus- und Rassismusskandal um Polizeianwärter zu ziehen. Doch durchgreifende Änderungen werden gemieden – und immer neue Fehler gemacht. Im Einzelnen:

  1. Die nun versprochene Reform der Polizeiausbildung ist lange überfällig – doch bis heute gibt es nicht einmal die Zusage, die Polizeischüler nach Dienstschluss wieder zu betreuen.
  2. Zur Ablösung des Leiters der Polizeidirektion muss der Innenminister nun einräumen, dass er die Öffentlichkeit über die wahren Gründe getäuscht hat („routinemäßige Rotation“).
  3. Wieder kommt nur durch eine Indiskretion heraus, dass bei der Auswahl von Polizeianwärtern schon vor Bewerbungsschluss Zusagen an schlechtere Bewerber verteilt und eingelöst wurden. Das dürfte nicht nur rechtswidrig sein – sondern auch gefährlich: Wir können nur die Besten in unserer Polizei gebrauchen – sonst droht im Extremfall eine Wiederholung des Eutiner Skandals.
  4. Plötzlich nennt der Innenminister die gegenüber dem Landtag geheim gehaltene Zahl der eingeleiteten Disziplinarverfahren wegen der Sexismus- und Rassismusvorwürfe. Doch bis heute verschweigt er, wegen welcher Vorwürfe konkret ermittelt wird und warum ein Anwärter entlassen worden ist. Parlament und Öffentlichkeit haben ein Recht auf Aufklärung, was in Eutin wirklich passiert ist!
  5. Wie der Teufel das Weihwasser vermeidet der Innenminister jedes Wort zur überfälligen Schaffung einer eigenständigen Stelle für interne Ermittlungen in Schleswig-Holstein – wie sie in Hamburg längst existiert. Solange hierzulande die Unabhängigkeit interner Ermittlungen fehlt, kann sich die Vertuschung von Sexismus- und Rassismusvorwürfen zum vermeintlichen Schutz des Ansehens der Polizei jederzeit wiederholen. Die beste Ausbildung wird nicht verhindern können, dass sich Anwärter als charakterlich ungeeignet erweisen – und das muss im Ernstfall Konsequenzen haben!

Wegen der immer neuen ungeklärten Fragen halte ich eine zeitnahe Sondersitzung des Innenausschusses für erforderlich, damit sich der Innenminister nicht erst in sechs Wochen vor dem Parlament rechtfertigt. Ich lade CDU und FDP ein, dies gemeinsam mit uns PIRATEN zu beantragen.”

Die heutige Erklärung des Ministers im Wortlaut:

Erklärung von Stefan Studt, Minister für Inneres und Bundesangelegenheiten Schleswig-Holstein, zur aktuellen Diskussion um die Polizeidirektion für Aus- und Fortbildung und die Bereitschaftspolizei Schleswig-Holstein (PD AFB):
In den vergangenen Tagen und Wochen ist die PD AFB in den Fokus heftiger öffentlicher Diskussionen geraten. Die Debatten über möglichen Sexismus und Rassismus in der Polizeiausbildung des Landes, Unregelmäßigkeiten im Einstellungsverfahren sowie die Spekulationen rund um die Versetzung des Leiters der Polizeidirektion haben nicht nur dem Ansehen der Behörde geschadet – sie belasten die Polizei des Landes insgesamt. Als Innenminister und oberster Dienstherr bedauere ich dies außerordentlich. Ich verwahre mich an dieser Stelle ausdrücklich gegen unlautere Spekulationen und unsachliche Pauschalkritik an unserer Landespolizei! Ich verweise darauf, dass die Landespolizei Schleswig-Holstein ein Garant der inneren Sicherheit und bürgerlichen Freiheit ist. Sie steht seit Jahrzehnten für hohe Einsatzbereitschaft und Professionalität. Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte sind es, die in besonderen Einsatzlagen, aber auch im täglichen Dienst, immer wieder beweisen, dass sie in der Lage sind, sich schwieriger Sachverhalte anzunehmen und besondere Belastungen zu schultern. Dafür möchte ich persönlich und im Namen der Bürgerinnen und Bürger des Landes einmal mehr meinen Dank aussprechen.
Ich möchte im Folgenden zu den einzelnen Aspekten Stellung nehmen.
1. Sexismus- und Rassismusvorwürfe in der PD AFB
Die Betrachtung des Ende Mai 2016 bei mir eingegangenen Papierkonvoluts durch die Disziplinarermittler der Landespolizei Ende Juni 2016 unter Einbindung der Obersten Disziplinarbehörde des MIB hat zu dem Ergebnis geführt, dass bei den betroffenen Anwärtern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gesehen werden. Das heißt, dass nach dem Stand der bis dahin vorgenommenen (Vor)ermittlungen die Pflichtverletzungen zusammen nach dem Gebot der Einheit des Dienstvergehens die Erheblichkeit für die Einleitung von Disziplinarverfahren erreichten.
Die Betroffenen wurden am 29.06.2016 über die Einleitung von Disziplinarverfahren gegen sie unterrichtet, nachdem die diesbezügliche Entscheidung durch den Disziplinarvorgesetzten, den Leiter der PD AFB, getroffen und mit meinem Haus abgestimmt worden war.
Parallel zur disziplinarrechtlichen Prüfung wurde eine beamtenrechtliche Bewertung der Vorwürfe vorgenommen im Hinblick darauf, ob berechtigte Zweifel an der für den Polizeiberuf erforderlichen charakterlichen Eignung der betroffenen Anwärter bestehen. Diese Prüfung kann grundsätzlich unabhängig von der Frage erfolgen, ob ein Dienstvergehen im Sinne des Disziplinarrechts vorliegt und erfordert nicht dieselbe Ermittlungstiefe bzw. den vollständigen Abschluss der disziplinarrechtlichen Untersuchung. Die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf erfordert deshalb nicht den abschließenden Nachweis eines konkreten Dienstvergehens.
Nachdem diese Prüfung ergab, dass auf Basis der aus den vorliegenden Unterlagen bekannten Sachverhalte berechtigte Zweifel an der charakterlichen Eignung bestehen, wurden die betroffenen Anwärter (schriftlich) zu diesen Sachverhalten und der daran anknüpfend beabsichtigten Entlassung aus dem Polizeidienst angehört.
Die Möglichkeit der Äußerung haben beide Anwärter durch ihre Rechtsbeistände fristgerecht genutzt. Nach Durchführung des Anhörungsverfahrens sowie des Mitbestimmungsverfahrens erfolgte eine erneute Bewertung der gesamten Sachverhalte, wie sie sich zu diesem Zeitpunkt darstellten. Dabei unterschieden sich nach Auffassung von MIB/LPA im Rahmen einer abwägenden Gesamtbetrachtung Quantität und Qualität der Vorwürfe unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Anhörungsverfahren und des zeitlichen Ablaufes dahingehend, dass in einem Fall die Zweifel an der charakterlichen Eignung – hinreichend belegbar – von so starkem Gewicht waren, dass sie in der Bewertung des Dienstherrn zu einer Entlassung aus dem Widerrufsbeamtenverhältnis führten.
Der betroffene Anwärter ist zum 31.07.2016, also mit Ablauf des Vorbereitungsdienstes, durch das Landespolizeiamt aus dem Widerrufsbeamtenverhältnis entlassen worden. Soweit gegen weitere Anwärter Disziplinarverfahren anhängig sind, hindern diese die Ernennung zum Beamten auf Probe nicht, werden jedoch parallel fortgeführt und können nach Abschluss der disziplinarrechtlichen Ermittlungen je nach Art und Schwere der Vorwürfe unterschiedliche Folgen haben.
2. Erkannte und behobene Mängel im Einstellungsverfahren 2016
Anfang Juli 2016 ist die Polizeiabteilung meines Hauses über Mängel im laufenden Einstellungsverfahren informiert worden, wonach gegen Grundsätze der sogenannten Bestenauslese verstoßen worden sein soll. In beiden Auswahlverfahren (mittlerer und gehobener Dienst) sei durch frühzeitige Einstellungszusagen ab Herbst 2015 und einem ab Weihnachten 2015 stark gestiegenen Bewerberaufkommen die Situation entstanden, dass zahlreiche nach Einstellungsprüfung mit einem höheren Punktwert versehene Bewerber im Rahmen der im Auswahlverfahren vorhandenen Plätze nicht eingestellt werden könnten, demgegenüber leistungsschwächere aber polizeidiensttaugliche Bewerber bereits eine Einstellungszusage erhalten hätten.
Damit stand als eine Entscheidungsoption im Raume, bereits gegebene Einstellungszusagen zurückzunehmen. Das hätte bedeutet, dass jungen Menschen, die seit Herbst 2015 auf einen Ausbildungsplatz bei der Landespolizei vertrauen durften, wenige Wochen vor Beginn des Ausbildungsjahres im Grunde jegliche berufliche Perspektive genommen worden wäre und zwar nicht nur die bei der Landespolizei! Nach intensiver Beratung und Abstimmung haben wir eine solche Entscheidung zu Lasten der jungen Bewerberinnen und Bewerber verworfen und folgende Veranlassungen getroffen:

  • Sofortige Herstellung einer „Einstellungsreihung“, die sicherstellt, dass im mittleren und gehobenen Dienst bezogen auf die für das Auswahlverfahren vorhandenen Kapazitäten die insgesamt 400 „Besten“, d.h. mit der besten Einstellungsprüfung eingestellt werden.
    Damit war die sog. Bestenauslese wieder gewährleistet.
  • Alle bereits erteilten Einstellungszusagen bleiben bestehen. Das heißt, dass die nach Leistungsaspekten eigentlich unterlegenen aber gleichwohl geeigneten Bewerber, die aber bereits eine Einstellungszusage erhalten haben, als gesonderte, zusätzliche Gruppe eingestellt werden. Dabei war zu berücksichtigen, dass im Fall der Rücknahme von Einstellungszusagen, die durch die Verwaltung gegeben wurden und auf die die Bewerber zu Recht vertraut haben, das Vertrauen in den Staat und seine Untergliederungen beschädigt würde, insbesondere, weil eine Rücknahme zeitlich erst kurz vor Beginn der Ausbildung erfolgen könnte. Eine anderweitige Bewerbung wäre kurz vor Beginn der regelmäßigen Ausbildungen nicht mehr möglich gewesen, ein echter Ausgleich für die Rücknahmeentscheidung damit auch nicht.
  • Im Ergebnis besteht der Einstellungsjahrgang 2016 – einschl. der zum 01.02.2017 einzustellenden Nachwuchskräfte – nicht wie geplant aus 400, sondern aus 453 jungen Frauen und Männern. Mit der Finanzministerin ist verabredet, dass diese überschießende Zahl mit der Bewerberzahl 2017 verrechnet wird.

3. Wechsel in der Behördenleitung der PD AFB
Für diesen Wechsel gibt es drei Gründe:
a. Die Führung der Landespolizei (Abteilungsleiter Polizei, Landespolizeidirektor) führt regelmäßige Gespräche zur Personalentwicklung, auch mit allen Behördenleitern. Bereits im Sommer 2014 wurde auf einer Klausurtagung der Amts- und Behördenleiter besprochen, dass grundsätzlich in herausgehobenen Leitungsfunktionen des höheren Dienstes Stehzeiten von 5 – 7 Jahren angestrebt werden. Diese Linie stütze ich ausdrücklich. Aus diesem Grunde wurden auch mit LPD Jürgen Funk mehrere Gespräche zur Personalentwicklung geführt, wobei eine Veränderung sich immer an tatsächlichen Gelegenheiten, an dienstlichen Notwendigkeiten sowie an persönlicher Vereinbarkeit orientieren soll. Alle drei Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Die Tatsache, dass es eine Veränderung gibt, kam für Herrn Funk aufgrund der umfangreich geführten Gespräche nicht überraschend.
b. Neben den öffentlich diskutierten Vorwürfen über angeblichen Sexismus / Rassismus in der PD AFB war auch für das als fehlerhaft erkannte Einstellungsverfahren zu erwarten, dass dieser Sachverhalt kurzfristig öffentlich werden würde. Beide Sachverhalte sind in besonderem Maße geeignet, das Vertrauen in die Landespolizei zu beeinträchtigen. Es war aus meiner Sicht zu erwarten, dass sich eine öffentliche Frage nach personeller Verantwortung sehr auf die Leitung der PD AFB konzentrieren wird. Diesem Umstand sollte – auch aus Fürsorgegesichtspunkten – durch eine Personalentwicklungsmaßnahme wie beschrieben begegnet werden.
c. Die PD AFB ist für mich der Ort, wo junge Menschen eingestellt und ausgebildet werden, sie ist der Ausgangspunkt guter Polizeiarbeit aber auch von positiver Polizei-Kultur und einem bürgerfreundlichen Organisationsverständnis. Die in Rede stehenden Sachverhalte haben mir gezeigt, dass wir sorgfältig auf die Instrumente und Rahmenbedingungen schauen müssen, die für die Sicherstellung dieser Kultur notwendig sind. Ob und wo wir da noch besser werden können, will ich untersuchen und soweit erforderlich auch durch strukturelle Maßnahmen begleiten lassen.
Auch dafür ist aus meiner Sicht eine personelle Neu-Aufstellung in der Leitungsebene der PD AFB gut und richtig. Wie ernst ich es damit meine, sehen Sie im Übrigen auch daran, dass wir mit Maren Freyher seit dem 1.August die erste Polizistin in der Funktion einer stellvertretenden Behördenleitung haben.
Lassen Sie mich ergänzend Folgendes sagen:
Weder bei Herrn Muhlack und Herrn Höhs, noch bei mir gehört es zum Führungsverständnis, derartige Personalveränderungen leichtfertig und unsensibel zu treffen. Die Maßnahme ist das Ergebnis zahlreicher Gespräche, die konstruktiv, offen und vor allem auch mit dem nötigen Fingerspitzengefühl geführt wurden. Und diese Gespräche wurden unter besonderer Berücksichtigung von Fürsorgeaspekten geführt. Herr Funk war seit dem 20. Juli über den Wechsel nach Ratzeburg informiert. Ich selbst habe mit Herrn Funk ein sehr persönliches und vertrauliches Gespräch am Montag der vergangenen Woche geführt. Ich meine, dass damit für Legendenbildung nach der Faktenlage wenig Raum ist.
4. Aufträge zur Modernisierung von Verfahren und Strukturen in der PD AFB
Wie bereits ausgeführt werden die angehenden Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in der PD AFB für ihr weiteres Berufsleben maßgeblich geprägt. Hinzu kommt, dass die PD AFB den ersten Berührungspunkt junger Menschen mit der Landespolizei darstellt. Für den besonders herausfordernden Beruf einer Polizeibeamtin oder eines Polizeibeamten ist es erforderlich, die geeigneten Bewerberinnen und Bewerber in einem rechtssicheren Auswahlverfahren herauszufiltern.
Durch eine qualifizierte Ausbildung und berufsbegleitende Betreuung müssen die Anwärterinnen und Anwärter die fachliche Kompetenz ebenso vermittelt bekommen wie die relevanten Kompetenzen im persönlichen Bereich.
Jegliche Versäumnisse auf diesem Weg können bei der späteren Berufsausübung dem Ansehen der Polizei schaden und im schlimmsten Fall zu einem Vertrauensverlust der Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes führen. Dies ist nicht hinnehmbar!
Notwendig sind daher die bestmögliche Auswahl sowie eine konzeptionell auf die aktuellen Erfordernisse und Erwartungen abgestellte Ausbildungs- und Betreuungssituation in der PD AFB und an der FHVD. Dies gerade und erst recht im Lichte der erhöhten Ausbildungskapazitäten in den folgenden Jahren.
Ich habe deshalb bereits vor einigen Wochen Polizeiabteilung und Landespolizeiamt gebeten, aktuelle Strukturen zu überprüfen und soweit erforderlich anzupassen, auch wenn das zusätzliches Personal oder Ressourcen erfordert. Um es deutlich zu sagen: An oder in der Ausbildung für unsere Landespolizei werde ich nicht sparen. Jede hier getätigte Investition ist eine in die Zukunft unserer Landespolizei. Ich werde mir im Oktober 2016 erste Zwischenberichte zu den einzelnen Untersuchungsaufträgen geben lassen.

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