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Piratenpartei gegen elektronische Stimmabgabe

Allgemein

Anlässlich der Diskussion um eine ständige Internet-Beschlussfassung (SMV) zitiere ich aus einer Pressemitteilung der Piratenpartei zu Wahlcomputern:

Die Maschine gibt ein nicht kontrollierbares Ergebnis aus. Eine Nachzählung ist nicht möglich, ein Wahlbetrug kann nicht nachgewiesen und nicht somit auch nicht ausgeschlossen werden. … Die Piratenpartei hält die Transparenz bei Wahlen für wichtiger als die Möglichkeit, das (bzw. ein) Ergebnis ohne Verzögerung zu bekommen. Die Möglichkeit von Nachzählungen ist ein elementarer Bestandteil einer Demokratie und darf unter keinen Umständen aufgegeben werden. …
Aus diesen Gründen ist die Piratenpartei der Meinung, dass der Einsatz derartiger Wahlgeräte den demokratischen Prinzipien der Überprüfbarkeit, Fälschungssicherheit und der geheimen Wahl widerspricht und somit nicht in Frage kommt.

Außerdem eine “Übersetzung” der Wahlcomputer-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für den Fall von Abstimmungen (Textänderungen sind fett markiert):

Der Einsatz von Geräten, die die Stimmen der Abstimmenden elektronisch erfassen und das Ergebnis elektronisch ermitteln, ist danach nur unter engen Voraussetzungen mit dem Grundgesetz vereinbar.
a) Beim Einsatz von elektronischen Geräten müssen die wesentlichen Schritte von Abstimmungshandlung und Ergebnisermittlung zuverlässig und ohne besondere Sachkenntnis überprüft werden können. Die Notwendigkeit einer solchen Kontrolle ergibt sich nicht zuletzt im Hinblick auf die Manipulierbarkeit und Fehleranfälligkeit elektronischer Geräte. Bei diesen beruht die Entgegennahme der Stimmen und die Berechnung des Ergebnisses auf einem Rechenvorgang, der von außen und für Personen ohne informationstechnische Spezialkenntnisse nicht überprüfbar ist. Fehler in der Software der Geräte sind daher nur schwer erkennbar. Darüber hinaus können derartige Fehler nicht nur einen einzelnen Computer, sondern alle eingesetzten Geräte betreffen. Während bei der herkömmlichen Abstimmung mit Stimmzetteln Manipulationen oder Fälschungen unter den Rahmenbedingungen der geltenden Vorschriften, zu denen auch die Regelungen über die Öffentlichkeit gehören, kaum – oder jedenfalls nur mit erheblichem Einsatz und einem präventiv wirkenden sehr hohen Entdeckungsrisiko – möglich sind, kann durch Eingriffe an elektronisch gesteuerten Geräten im Prinzip mit relativ geringem Aufwand eine große Wirkung erzielt werden. Schon Manipulationen an einzelnen Geräten können nicht nur einzelne Stimmen, sondern alle Stimmen beeinflussen, die mit Hilfe dieses Gerätes abgegeben werden. Noch höher ist die Reichweite der Fehler, die mittels geräteübergreifender Veränderungen und Fehlfunktionen einer einzigen Software verursacht werden. Die große Breitenwirkung möglicher Fehler an den Geräten oder gezielter Fälschungen gebietet besondere Vorkehrungen zur Wahrung des Grundsatzes der Öffentlichkeit der Wahl.
aa) Der Abstimmende selbst muss – auch ohne nähere computertechnische Kenntnisse – nachvollziehen können, ob seine abgegebene Stimme als Grundlage für die Auszählung oder – wenn die Stimmen zunächst technisch unterstützt ausgezählt werden – jedenfalls als Grundlage einer späteren Nachzählung unverfälscht erfasst wird. Es reicht nicht aus, wenn er darauf verwiesen ist, ohne die Möglichkeit eigener Einsicht auf die Funktionsfähigkeit des Systems zu vertrauen. Es genügt daher nicht, wenn er ausschließlich durch eine elektronische Anzeige darüber unterrichtet wird, dass seine Stimmabgabe registriert worden ist. Dies ermöglicht keine hinreichende Kontrolle durch den Abstimmenden. Gleiche Nachvollziehbarkeit muss auch für die Organe und die interessierten Bürger gegeben sein.
Daraus folgt, dass die Stimmen nach der Stimmabgabe nicht ausschließlich auf einem elektronischen Speicher abgelegt werden dürfen. Der Abstimmende darf nicht darauf verwiesen werden, nach der elektronischen Stimmabgabe alleine auf die technische Integrität des Systems zu vertrauen. Wird das Ergebnis durch rechnergesteuerte Verarbeitung der in einem elektronischen Speicher abgelegten Stimmen ermittelt, genügt es nicht, wenn anhand eines zusammenfassenden Papierausdrucks oder einer elektronischen Anzeige lediglich das Ergebnis des im Gerät durchgeführten Rechenprozesses zur Kenntnis genommen werden kann. Denn auf diese Weise können Abstimmende und Organe nur prüfen, ob das Gerät so viele Stimmen verarbeitet hat, wie Wähler zur Bedienung des Wahlgerätes bei der Wahl zugelassen worden sind. Es ist in diesen Fällen nicht ohne weiteres erkennbar, ob es zu Programmierfehlern in der Software oder zu zielgerichteten Fälschungen durch Manipulation der Software oder der Geräte gekommen ist.
bb) Der Gesetzgeber ist nicht gehindert, bei den Abstimmungen elektronische Geräte einzusetzen, wenn die verfassungsrechtlich gebotene Möglichkeit einer zuverlässigen Richtigkeitskontrolle gesichert ist. Denkbar sind insbesondere Geräte, in denen die Stimmen neben der elektronischen Speicherung anderweitig erfasst werden. Dies ist beispielsweise bei elektronischen Geräten möglich, die zusätzlich zur elektronischen Erfassung der Stimme ein für den jeweiligen Abstimmenden sichtbares Papierprotokoll der abgegebenen Stimme ausdrucken, das vor der endgültigen Stimmabgabe kontrolliert werden kann und anschließend zur Ermöglichung der Nachprüfung gesammelt wird. Eine von der elektronischen Stimmerfassung unabhängige Kontrolle bleibt auch beim Einsatz von Systemen möglich, bei denen die Abstimmenden einen Stimmzettel kennzeichnen und die getroffene Entscheidung gleichzeitig (etwa mit einem „digitalen Wahlstift“, vgl. dazu Schiedermair, JZ 2007, S. 162 ) oder nachträglich (z.B. durch einen Stimmzettel-Scanner; vgl. dazu Schönau, Elektronische Demokratie, 2007, S. 51 f.; Khorrami, Bundestagswahlen per Internet, 2006, S. 30) elektronisch erfasst wird, um diese am Ende des Tages elektronisch auszuwerten.
Jedenfalls in diesen Fällen ist sichergestellt, dass die Abstimmenden ihre Stimmabgabe beherrschen und das Ergebnis von den Wahlorganen oder interessierten Bürgern ohne besonderes technisches Vorwissen zuverlässig nachgeprüft werden kann. Ob es noch andere technische Möglichkeiten gibt, die ein auf Nachvollziehbarkeit gegründetes Vertrauen des Volks in die Korrektheit des Verfahrens bei der Ermittlung des Ergebnisses ermöglichen und damit dem Grundsatz der Öffentlichkeit der Abstimmung genügen, bedarf hier keiner Entscheidung.
b) Einschränkungen der bürgerschaftlichen Kontrollierbarkeit des Vorgangs können nicht dadurch ausgeglichen werden, dass Mustergeräte im Rahmen des Verfahrens der Bauartzulassung oder die bei der Abstimmung konkret eingesetzten Geräte vor ihrem Einsatz von einer amtlichen Institution auf ihre Übereinstimmung mit bestimmten Sicherheitsanforderungen und auf ihre technische Unversehrtheit hin überprüft werden. Die Kontrolle der wesentlichen Schritte der Abstimmung fördert begründetes Vertrauen in die Ordnungsmäßigkeit der Abstimmung erst dadurch in der gebotenen Weise, dass die Bürger selbst den Vorgang zuverlässig nachvollziehen können.
Aus diesem Grund ist auch eine umfangreiche Gesamtheit sonstiger technischer und organisatorischer Sicherungsmaßnahmen (z.B. Kontrollen und sichere Aufbewahrung der Geräte, jederzeitige Vergleichbarkeit der eingesetzten Geräte mit einem amtlich geprüften Baumuster, Strafbarkeit von Fälschungen und dezentrale Organisation der Wahl) allein nicht geeignet, fehlende Kontrollierbarkeit der wesentlichen Schritte des Abstimmungsverfahrens durch die Bürger zu kompensieren.
Dementsprechend trägt weder eine Beteiligung der interessierten Öffentlichkeit an Verfahren der Prüfung oder Zulassung von Geräten noch eine Veröffentlichung von Prüfberichten oder Konstruktionsmerkmalen (einschließlich des Quellcodes der Software bei rechnergesteuerten Geräten) entscheidend dazu bei, das verfassungsrechtlich gebotene Niveau an Kontrollierbarkeit und Nachvollziehbarkeit des Abstimmungsvorgangs zu sichern. Technische Prüfungen und amtliche Zulassungsverfahren, die ohnehin nur von interessierten Spezialisten sachverständig gewürdigt werden können, betreffen ein Verfahrensstadium, das weit vor der Stimmabgabe liegt. Die Beteiligung der Öffentlichkeit bedürfte daher, um die gebotene verlässliche Überwachung des Abstimmungsvorgangs zu erreichen, ergänzend anderweitiger Vorkehrungen.
c) Der Gesetzgeber kann in begrenztem Umfang Ausnahmen vom Grundsatz der Öffentlichkeit zulassen, um anderen verfassungsrechtlichen Belangen, insbesondere den geschriebenen Wahlrechtsgrundsätzen aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG, Geltung zu verschaffen. So lassen sich Beschränkungen der öffentlichen Kontrolle der Stimmabgabe bei der Briefwahl (§ 36 BWG) mit dem Ziel begründen, eine möglichst umfassende Wahlbeteiligung zu erreichen und damit dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 21, 200 ; 59, 119 ). Beim Einsatz rechnergesteuerter Geräte sind jedoch keine gegenläufigen Verfassungsprinzipien erkennbar, die eine weitreichende Einschränkung der Öffentlichkeit der Wahl und damit der Kontrollierbarkeit von Wahlhandlung und Ergebnisermittlung rechtfertigen könnten.
aa) Soweit der Einsatz rechnergesteuerter Geräte darauf zielt, die bei der herkömmlichen Wahl mit Stimmzetteln immer wieder vorkommenden unbewusst falschen Stimmzettelkennzeichnungen, unwillentlich ungültigen Stimmabgaben, unbeabsichtigten Zählfehler oder unzutreffenden Deutungen des Wählerwillens bei der Stimmenauszählung auszuschließen (vgl. Schreiber, Handbuch des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag, 7. Aufl. 2002, § 35 Rn. 2), dient dies zwar der Durchsetzung der Stimmengleichheit aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG. Welches Gewicht diesem Zweck zukommt, kann indes dahingestellt bleiben. Jedenfalls rechtfertigt er für sich genommen nicht den Verzicht auf jegliche Art der Nachvollziehbarkeit des Abstimmungsakts. Denn unbeabsichtigte Zählfehler oder unzutreffende Deutungen des Abstimmungswillens können durch Geräte auch dann ausgeschlossen werden, wenn neben der elektronischen Erfassung und Zählung der Stimmen eine ergänzende Kontrolle durch den Abstimmenden, die Organe oder die Allgemeinheit ermöglicht wird. Eine entsprechende Kontrolle ist beispielsweise bei elektronischen Geräten möglich, die die Stimmen nicht nur elektronisch im Gerät, sondern gleichzeitig auch in einer hiervon unabhängigen Form erfassen (s. oben II. 3. a) bb). Abgesehen davon sind auch Bedienungsfehler – wie etwa die Benutzung der „Ungültig“-Taste in der Annahme, es könne damit ein Eingabeversehen korrigiert werden – bei den bei der Wahl zum 16. Deutschen Bundestag zugelassenen Geräten nicht ausgeschlossen.

Fazit
Eine ständige Online-Beschlussfassung würde zu nicht kontrollierbaren Ergebnissen führen. Manipulationen mit “großer Breitenwirkung” können “nicht nachgewiesen und nicht somit auch nicht ausgeschlossen werden”. Online-Abstimmungssysteme erfüllen nicht die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, “dass die Stimmen nach der Stimmabgabe nicht ausschließlich auf einem elektronischen Speicher abgelegt werden dürfen.”
Zu den Schlussfolgerungen daraus und den Alternativen zu reinen Online-Abstimmungen siehe

  1. BPT-Antrag: Kombinationsmodell anstelle einer ständigen Internet-Beschlussfassung (SMV)
  2. Warum eine “ständige Mitgliederversammlung” ein Problem und keine Lösung ist

Kommentare

2 Kommentare
  • Matthias

    Das Problem “Wahlcomputer” tritt nur bei dem Versuch auf Wahlen anonym abzuhalten. D.h. bei Klarnamen ist das Wahlverfahren weiterhin nachprüfbar.
    In sofern ist gegen offene Abstimmungen mit Klarnamen oder nachvollziehbaren Pseudonymen nichts einzuwenden.
    Einige sMV Anträge berücksichtigen das.
    Gruß
    Matthias

    • Patrick Breyer

      Hallo Matthias,
      siehe dazu meinen verlinkten Beitrag Warum eine “ständige Mitgliederversammlung” ein Problem und keine Lösung ist:
      Den Klarnamen aller Abstimmungsteilnehmer zu kennen, ändert daran entgegen verbreiteter Ansicht nichts. Dem Berliner Datenschutzbeauftragten zufolge bietet ein Klarnamenszwang “keine vollständige Sicherheit, da auch hierbei darauf vertraut werden müsste, dass Administratoren etwa die Stimmabgaben der mit Klarnamen registrierten Benutzer nicht manipulativ umleiten”. Auch Streetdogg schreibt:
      Es gibt über 30.000 Klarnamen in der Piratenpartei. Die kennt nicht nur nicht jeder alle, die meisten von denen kennt sogar überhaupt niemand. Es nützt nichts zu erfahren, ob ein Account einem “Olaf Olafsson” gehört. Mit dieser Information weiß man trotzdem nicht, ob der den Account selbst angelegt hat, selbst betreibt, oder ob seine Abstimmungen frei von Manipulationen sind. Wir machen uns mit der Satzungsänderung einen Wahlcomputer zum Organ.

      In der Tat: Auch Klarnamens-Wahlcomputer sind Wahlcomputer.

      Ein Klarnamenszwang ist im Übrigen rechtlich unzulässig, wie der Berliner Datenschutzbeauftragte für LiquidFeedback ausdrücklich festgestellt hat.

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