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Patrick Breyer zu Vorratsdatenspeicherungs-Urteilen: Gezielt ermitteln statt total erfassen!

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Patrick Breyer, Bürgerrechtler und Europaabgeordneter der Piratenpartei, erklärt zu den heutigen EuGH-Urteilen zur Vorratsdatenspeicherung:

“Unter dem massiven Druck der Regierungen und Eingriffsbehörden haben die Richterinnen und Richter unseren Schutz vor verdachtsloser Kommunikationserfassung in Teilen aufgegeben: Die zugelassene IP-Vorratsdatenspeicherung ermöglicht es, die private Internetnutzung von Normalbürgern auf Monate hinaus zu durchleuchten. Straftäter können diese Totalerfassung mit Anonymisierungsdiensten leicht umgehen, aber den Normalnutzer macht sie gläsern. Auch die heute eingeschränkt zugelassene Vorratsspeicherung persönlicher Kontakte und Bewegungen hat einer aktuellen Studie zufolge keinerlei messbare Wirkung auf die Aufklärung schwerer Straftaten, verhindert aber vertrauliche Beratung etwa durch Anwälte und bedroht die freie Presse, die auf anonyme Whistleblower angewiesen ist.“

An die Politik richtet Breyer daher den Appell: „Die heutigen Urteile beschreiben nur die äußersten Grenzen des rechtlich Machbaren und sind keine Handlungsanweisung. Ich warne die EU-Kommission davor, die mangelnde Wirksamkeit und die schädlichen Wirkungen einer Vorratsdatenspeicherung zu ignorieren und mit einem neuen Vorstoß 450 Mio. EU-Bürger unter Generalverdacht zu stellen! Stattdessen gilt es, Spuren Verdächtiger schnell und gezielt aufzubewahren (Quick Freeze) und eine schnelle europaweite Zusammenarbeit zu organisieren.“

Zu den drohenden Auswirkungen einer vollständigen und verdachtsunabhängigen Vorratsspeicherung der IP-Daten aller Internetnutzern erklärt Breyer: „In Verbindung mit anderen Informationen, die Anbieter wie Google, Twitter oder Youtube speichern, würde so potenziell jede unserer Eingaben, jeder unserer Klicks, jeder unserer Downloads, jeder unserer Beiträge/Posts im Netz nachvollziehbar werden – also die Inhalte unserer Internetnutzung.“ In Deutschland ist weder eine schwere Straftat noch eine richterliche Anordnung Voraussetzung der Rückverfolgung von Internetnutzern. „Es droht das Ende der anonymen Information und Kommunikation im Internet für Normalbürger. Eine IP-Vorratsdatenspeicherung hätte unzumutbare Folgen, wo Menschen nur im Schutz der Anonymität überhaupt bereit sind, sich in einer Notsituation beraten und helfen zu lassen (z.B. Opfer und Täter von Gewalt- oder Sexualdelikten), ihre Meinung trotz öffentlichen Drucks zu äußern oder Missstände bekannt zu machen (Presseinformanten, anonyme Strafanzeigen).“

Breyer verweist darauf, dass die Aufklärungsquote von Internetdelikten in Deutschland mit 58,6% schon ohne IP-Vorratsdatenspeicherung überdurchschnittlich hoch ist und nach Einführung des ersten Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung gesunken ist – vermutlich wegen verstärkter Nutzung von Anonymisierungsdiensten. „Um sich vor dem ständigen Risiko eines falschen Verdachts, missbräuchlicher Offenlegung oder versehentlichen Datenverlusts zu schützen, empfehle ich allen Internetnutzern einen vertrauenswürdigen Anonymisierungsdienst zu verwenden.“

Studie belegt, dass Strafverfolgung auch ohne Vorratsdatenspeicherung funktioniert

Gestern hat der Europaabgeordnete eine Studie des Wissenschaftlichen Dienstes des Europäischen Parlaments veröffentlicht, der zufolge Gesetze zur flächendeckenden Vorratsspeicherung der Telefon-, Mobiltelefon- und Internetnutzung in keinem EU-Land einen messbaren Einfluss auf die Kriminalitätsrate oder die Aufklärungsquote haben.

Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass es “nicht möglich zu sein [scheint], einen direkten Zusammenhang zwischen der Tatsache, ob Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung bestehen oder nicht, und der Kriminalitätsstatistik herzustellen”.

Hintergrund der Gerichtsurteile

Die EU hatte 2006 per Richtlinie beschlossen, dass Verbindungs- und Standortdaten sämtlicher Telefon- und Internetnutzer auf Vorrat gespeichert werden solten, damit die Polizei Zugriff darauf hat. Diese Richtlinie hatte der EuGH 2014 für unverhältnismäßig und grundrechtswidrig erklärt. 2016 folgte dann die Entscheidung des EuGH, auch nationale Gesetze von Großbritannien und Schweden zur Vorratsdatenspeicherung für unverhältnismäßig und nichtig zu erklären.

Die Rechtsprechung des EuGH wurde von vielen EU-Staaten nicht akzeptiert. Zahlreiche Staaten weigerten sich, ihre nationalen Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung abzuschaffen. Die EU-Kommission sah darin jedoch keinen Grund, Vertragsverletzungsverfahren gegen die Staaten einzuleiten.

Daraufhin haben drei nationale Gerichte den EuGH erneut mit dem Thema befasst. Das englische Investigatory Powers Tribunal, der französische Conseil d’Etat und der belgische Verfassungsgerichtshof stellten Fragen zur Zulässigkeit der nationalen Gesetze. Angestoßen wurde die Verfahren waren durch die Datenschutz- und Bürgerrechtsorganisationen “Privacy International” und “La Quadrature du Net”. Auch in Deutschland wird gegen das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung geklagt, u.a. von Breyer und der Datenschutzorganisation Digitalcourage.

 

Kommentare

2 Kommentare
  • Bernd

    Bitte auch an die Metadaten denken..

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