Geldauflagen der Justiz: Millionen im Namen des Volkes gerechter und transparenter verteilen!
Anlässlich der heutigen Ausstrahlung der ZDF-Dokumentation »Millionen im Namen des Volkes – Wie Richter Bußgelder verteilen« kündigt der Landtagsabgeordnete und Jurist Dr. Patrick Breyer von der Piratenpartei an, über den Bundesrat eine Reform des Geldauflagenverteilungssystems anstoßen zu wollen:
»Immer wieder gefährden einzelne zweifelhafte Geldauflagen das öffentliche Vertrauen in unsere Gerichte und Staatsanwaltschaften, etwa wenn der Anschein einer Verfolgung privater Interessen entsteht. Auch für gemeinnützige Organisationen ist der zufällige und stark schwankende Geldregen ein Problem. Deshalb braucht es eine Bundesratsinitiative für eine grundlegende Reform des deutschen Geldauflagensystems im Sinne von Verteilungsgerechtigkeit, Transparenz und Korruptionsprävention.
Gerichte und Staatsanwaltschaften sollten nicht länger die konkrete gemeinnützige Einrichtung festlegen, an die ein Geldbetrag zu zahlen ist, sondern lediglich den gemeinnützigen Zweck der Zahlung (z.B. Opferhilfe, Suchthilfe). Die Verteilung der Geldauflagen sollte zweckgebunden, transparent und öffentlich kontrolliert über Sammelfonds der Bundesländer erfolgen.
Sowohl Justiz als auch Nichtregierungsorganisationen wäre damit besser gedient als mit disparaten Einzelzuweisungen etwa an ‘Eisenbahnfreunde’, ‘Trinkkegelcousins’, Karnevalsvereine oder gar an Einrichtungen, mit denen die zuständigen Justizbediensteten oder ihre Angehörigen persönlich verflochten sind. All dies ist in der Vergangenheit leider vereinzelt vorgekommen und kann unter dem aktuellen System jederzeit wieder das Ansehen der Justiz beschädigen.«
Hintergrund: Der niedersächsische Landesrechnungshof hat bereits 2009 festgestellt, dass die Gerichte durch professionelles »Bußgeldmarketing« mitunter »massiven Einflüssen ausgesetzt« seien und die »Sensibilität in Fragen der Korruptionsprävention und die Transparenz bei entsprechenden Entscheidungen verbessert« werden müsse. Der jetzige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Ferdinand Kirchhof bezeichnet die Regelung der Geldauflagenverteilung in einem Aufsatz aus dem Jahr 2004 gar als verfassungswidrig.
Anhang: Der Entwurf des geplanten Antrags im Wortlaut
Reform der Zuweisung von Geldauflagen in Strafsachen
Der Landtag möge beschließen:
Die Landesregierung wird aufgefordert,
1. der Öffentlichkeit mindestens einmal jährlich darüber zu berichten, welche staatlichen und nichtstaatlichen Einrichtungen in welcher Höhe aufgrund von Geldauflagen in Strafverfahren begünstigt worden sind,
2. die Begünstigung von Organisationen ausdrücklich auszuschließen, in denen der zuständige Richter oder Staatsanwalt oder deren Angehörige Mitglied sind, eine Funktion wahrnehmen oder von denen sie Vorteile empfangen,
3. in das Interessentenverzeichnis nur solche Einrichtungen aufnehmen zu lassen, die
a) bestimmte Offenlegungsstandards erfüllen,
b) den Nachweis der gemeinnützigen Verwendung der zugewendeten Beträge erbringen,
c) dem Landesrechnungshof ein Prüfungsrecht einräumen,
d) auf die Zahlung von Provisionen an Vermittler und auf Geldauflagenmarketing verzichten,
4. einen oder mehrere Sammelfonds für Geldauflagen zu Gunsten gemeinnütziger Einrichtungen einzurichten,
5. über den Bundesrat eine Änderung der einschlägigen Gesetze zu beantragen, derzufolge
a) Gerichte und Staatsanwaltschaften nicht länger die gemeinnützige Einrichtung bestimmen, welcher der Geldbetrag zufließen soll, sondern den gemeinnützigen Zweck, für den der Betroffene den Geldbetrag zu leisten hat,
b) die Länder ermächtigt werden, eine Regelung über die zentrale Ansammlung und Verteilung der für gemeinnützige Zwecke bestimmten Geldbeträge, über den Nachweis der sachgemäßen Verwendung dieser Beträge durch die gemeinnützigen Einrichtungen sowie über die Rechenschaftslegung hinsichtlich der angesammelten Beträge und ihrer Verteilung zu treffen,
c) bei der Bestimmung des gemeinnützigen Verwendungszweckes nach Möglichkeit die Art der Straftat und die durch sie verschuldeten Auswirkungen zu berücksichtigen sind,
d) der Begriff der Gemeinnützigkeit nach den steuerrechtlichen Vorschriften zu bestimmen ist.
Rückmeldungen zu dem Antragsentwurf über die Kommentarfunktion sind willkommen.
Linksammlung zum Thema
- Verwaltungsvorschriften
- „Rahmenmodell eines bundeseinheitlichen Verfahrens bei Geldbußenzuweisungen“, das die 42. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister am 19./20. Oktober 1973 beschlossen hat
- SH (2006)
- HES (1988)
- RLP (1995)
- BAY (2008)
- BBG (2009)
- BLN (2010) zu Sammelfonds
- NRW (2011)
- HES (2012)
- Zweifelhafte Fälle
- Karnevalsvereine: 1, 2
- von der Tochter geführter Reitverein, Vortragshonorare an Juristen
- Memnon (Ausgrabungen), Westerwälder Eisenbahnfreunde, Schützen- und Heimatvereine, Karnevalsvereine oder groß angelegte Bauprojekte
- Turnverein, Badminton-Club. In Brandenburg erhielt der Sportverein „Trinkkegelcousins Wriezen“ zwischen 2004 und 2010 insgesamt 39.350 Euro, in Rheinland-Pfalz konnten sich 2012 zwei Karnevalsvereine über zusammen 27.000 Euro freuen, in Schleswig-Holstein findet man unter anderem eine Segler-Vereinigung auf der Liste, in Sachsen-Anhalt den Bauernbund, eine Baumschule, die Ticket Online Software Parchim sowie die Everglaze GmbH – einen Hamburger Schmuckladen. … So bedachte die Staatsanwaltschaft Stendal den Förderverein des Domchors mit 2500 Euro. Dessen Vorsitzender ist ein Stendaler Staatsanwalt.
- Weitere Informationen
Kommentare
… und dann wird der Länderzuschuß an die NGOs entsprechend gekürzt, so dass die Gerichte implizit aufgefordert werden ein Budget abzuurteilen. Kennen wir doch schon aus dem Bußgeldmanagement der Strassenraumüberwachung / Ordnungsamt auf kommunaler Ebene: Wird einfach fest im Haushalt eingeplant und entsprechend gesteuert. Außerdem muß der Richter vom Zahlungsfluss informiert werden.
Fazit: Schlechte Idee, das mit der zentralen Verteilung.
Besser: Zuweisung nach Losprinzip noch während der Urteilsberatung aus festgelegtenThementöpfenlisten.
Also wegen einigen Einzelfällen, soll ein zentrales Vergabefonds gegründet werden, der viel mehr Mittel erfordert als die vereinzelten ,,zweifelhaften Fälle”.
Ferner ist das Argument ,,Auch für gemeinnützige Organisationen ist der zufällige und stark schwankende Geldregen ein Problem.” wohl kaum nachzuvollziehen. Zusätzliches Geld kann kein Problem sein, allenfalls das (unberechtigte) Vertrauen die Zuwendungen könnten auf für die Zukunft eingeplant werden.
Auf die vorgeschlagene Weise bekämen dann endlich die Abgeordneten ihre Finger auch an diesen Finanztopf und könnten auf diesem Weg ihren Kumpels erhebliche Summen zukommen lassen.
Dann doch lieber dezentrale Verteilung durch die Richter, die durch ihren Amtseid an die Verfassung gebunden sind, als durch eine Klüngelrunde von fünf Politikern.
Ich stehe diesem Vorschlag kritisch gegenüber. Der eigentliche Zweck dieser Geldzahlungen ist doch die Wiedergutmachung der Tat (darum: Geld-“Strafe” bzw. “Buß”-Geld). Diese Wiedergutmachung ist am besten möglich, wenn z.B. jemand für eine Trunkenheitsfahrt Geld an die Straßenverkehrswacht überweisen muss, jemand, der seine Frau verprügelt hat, Geld für ein Frauenhaus zahlen muss. Genau deshalb überlegen viele Richter genau, wohin sie das Geld lenken – nach der TAT und dem TÄTER, nicht danach, ob andere karitative Einrichtungen auch die Hand aufhalten.
1. Diese Entscheidung (“Wie kann man die Tat wieder gutmachen?”) ist schwer, und wohl niemals eindeutig, zu beantworten. Jeder Richter beantwortet das anders, auch Richter sind ja nur Menschen. In einem Rechtsstaat ist aber wichtig, das diese Frage auch von unabhängigen Richtern beantwortet wird, nicht durch einen “Sammelfonds”. Denn wie gesagt:
Es geht hier in erster Linie um die Bestrafung einer Straftat, nicht um das Verteilen von Geld.
2. Andere Richter machen es sich einfacher veranlassen einfach eine Zahlung zugunsten der Staatskasse. Damit hat man natürlich nicht mehr die Probleme, die der Herr Breyer im Auge hat, aber man erreicht natürlich auch weniger den eigentlichen Zweck der Zahlung (= Wiedergutmachung der Tat (s.o.)). Allerdings fände ich sogar diese – sicher nur zweitbeste – Lösung IMMER NOCH BESSER als einen bürokratischen Sammelfonds.
3. Im Übrigen erscheint mir der bisherige Zustand auch völlig befriedigend. Ich habe mir die ZDF-Reportage angeschaut und keinen echten Skandal gesehen (außer der reißerischen Machart dieses Beitrags). Man lernt dort:
Richter schicken das Geld nur an Vereine, bei denen sie wissen, dass damit gut gearbeitet wird (Skandal?), insbesondere weil der Vereinsvorsitzende auch ehrenamtlich im Justizbereich aktiv war (Skandal?), die den ganzen Verwaltungskram ordnungsgemäß erledigen (Skandal?), mit Bettelei möchten die Richter nicht belästigt werden (Skandal?), die Entscheidungen müssten eigentlich nachträglich durch die Bundesländer veröffentlicht werden, was allerdings einige Länder nicht machen (Sind deshalb die Entscheidungen selbst der Skandal oder nicht eher die Arbeitsverweigerung der Landesjustizverwaltungen?) und … ganz am Anfang des Beitrags … ein echter Skandal, der allerdings in den 70ern aufgedeckt und zu entsprechender strafrechtlicher Verfolgung der Richter und Staatsanwälte geführt hat (Skandal noch aktuell? Skandal nicht längst strafrechtlich aufgearbeitet?).
4. Liebe Grüße an die Piraten! Ihr seid die einzige Partei, die wenigstens so offen Kritik zulässt.