G7-Treffen in Lübeck: Abgeordnete der Piratenpartei als “Embedded Demobeobachter” vor Ort (Erster Bericht)
+++ Außer bei Piraten gestern kein Interesse von Abgeordneten an G7-Protesten +++ Abgeordnete der Piratenpartei besichtigen Gewahrsamszellen +++ Richterliche Kontrolle von Ingewahrsamnahmen fraglich +++ Ausweiskontrollen und Durchsuchungen im gesamten Stadtgebiet möglich? +++
Wie berichtet bietet die Polizei schleswig-holsteinischen Landtagsabgeordneten an, sie zu informieren und in Begleitung durch Absperrungen zu lassen – ich nenne das “Embedded Demobeobachtung”. Den gestrigen Informationstermin der Polizei haben nur Uli König und ich als Abgeordnete der Piratenpartei wahrgenommen (für heute haben sich elf Abgeordnete angemeldet).
Ich habe von der Polizei eine Akkreditierung bekommen, derzufolge ich heute auch Absperrungen passieren darf, um als Volksvertreter den Polizeieinsatz zu beobachten – aber nur solange ich mich an die von der Polizei aufgestellten Regeln halte: stets in polizeilicher Begleitung, ich darf mich nicht an Versammlungen beteiligen und habe “keine Interventionsrechte”.
Polizeilich begleitet werden können personell maximal drei Gruppen von Abgeordneten, was unsere Beobachtungsmöglichkeiten einschränkt. Mit Ausnahme des Medienzentrums dürfen wir die Veranstaltungsräume wie das Rathaus auch in Begleitung betreten. Wir werden vor allem auf Informationen von Teilnehmern und Medien angewiesen zu sein, um von Zwischenfällen zu erfahren. Wir haben bisher keine Freigabe, das Polizeiprotokoll über das Einsatzgeschehen einzusehen. Eine Reihe anderer Mitglieder der Piratenpartei wird die Demobeobachtung durch die Humanistische Union Lübeck unterstützen.
Gestern haben wir Abgeordnete die freundliche und bemühte “VIP-Begleitung” der Polizei gleich auf die Probe gestellt: Nach einem eingehenden Gespräch über den Einsatz der Landespolizei (“BAO 7 Türme”, 3.500 Beamte) und der Bundespolizei (“BAO Holstentor”, 1.500 Beamte), bei dem wir keine Hinweise auf problematische Überwachungsmaßnahmen gegen Anreisende oder Versammlungsteilnehmer feststellen konnten, haben wir mit einer Staatsanwältin und einer Gerichtsmitarbeiterin über die Arbeit der Justiz gesprochen. Gestern hatten sie noch nichts zu tun.
Im Anschluss haben wir uns die “Gefangenensammelstelle” neben dem Behördenhochhaus (Possehlstr. 4) angesehen, die Platz für mindestens 300 Personen bietet. Diese sollen nach der Eingangsprozedur auf dem Boden sitzend/liegend in immerhin geheizten Containern untergebracht werden. Erfahrungsgemäß werde der Gewahrsam im Regelfall für 3-4 Stunden vollzogen. Fotos durften wir keine machen.
Ob die Personen einen Richter zu sehen bekommen werden, ist fraglich, denn die Justiz soll angekündigt haben, auf eine Vorführung zu verzichten, wenn Einzelvorführungen länger dauern würden als der Gewahrsam selbst. Die Problem dabei ist die gruppenbezogene Betrachtung: Wenn 40 Personen in Gewahrsam genommen werden, würde ein Richter 10 Stunden brauchen, um einzeln mit ihnen zu sprechen (15 Minuten pro Person). Wenn die Personen nach 3-4 Stunden ohnehin wieder auf freien Fuß gesetzt werden sollen, soll auf Vorführungen nach dieser Berechnungsweise von vornherein und bei jeder dieser Personen verzichtet werden.
Ich halte diese Praxis, falls sie sich bestätigen sollte, rechtlich nicht für tragfähig. Die Justiz könnte auch bei einem vorübergehenden Gewahrsam immerhin einen Teil der Betroffenen anhören und gegebenenfalls früher auf freien Fuß setzen als von der Polizei geplant. Wird jemandem zu Unrecht die Freiheit entzogen, hat er gesetzlich einen Anspruch auf “unverzügliche” richterliche Entscheidung. Wenn die Kapazitäten nicht für alle reichen, rechtfertigt es dies nicht, sie keinem der Betroffenen zu widmen. Ich will diesem Problem parlamentarisch nachgehen. Immerhin werden die Richter von sämtlichen Ingewahrsamnamen informiert, so dass sie jederzeit eine Vorführung verfügen können.
Heute nacht ist nach einer Beleidigung die erste Ingewahrsamname erfolgt. Ich habe nachgefragt, ob darüber ein Richter entschieden hat (noch keine Antwort).
Über die gestrigen Vorfälle (Manipulationen an Stromverteiler, Pflastersteinfunde, Platzverweise) war von der Polizei nichts Näheres zu erfahren. Heute werden wir versuchen, direkt zum Ort von Zwischenfällen zu kommen, um uns ein eigenes Bild zu machen. Die Polizei wird das Geschehen auf der Luft beobachten, eine Videoüberwachung sei aber nicht geplant, solange es nicht zu Störungen komme.
Der Meldung, Lübeck sei entgegen der Planung als “gefährlicher Ort” eingestuft worden, an dem jede Person auf Verlangen ihren Ausweis vorlegen und eine Durchsuchung erdulden muss, gehe ich gerade nach.
Schleswig-holsteinische Polizeibeamte werden am Revers eine sechsstellige Nummer tragen, die sie eindeutig kennzeichnet. So können sie bei Beschwerden identifiziert werden. Bei Polizeibeamten aus anderen Ländern und der Bundespolizei erfolgt keine Kennzeichnung, weil die übrigen Parteien unseren Antrag im Landtag zur Einführung einer gesetzlichen Kennzeichnungspflicht ablehnen. Theoretisch ist jeder Beamte auf Verlangen verpflichtet, entweder Dienstnummer oder Namen und Dienststelle zu nennen, was im Einsatz natürlich wenig realistisch ist. Hinweise zum Fotografieren und Filmen von Polizei findet ihr hier.
Bitte informiert uns heute telefonisch (Anprechpartnerin Anne Burmeister: 0170-4600309) oder per Twitter (@u98) von Problemen, damit wir ihnen nachgehen können.
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