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G7-Treffen in Lübeck: Abgeordnete der Piratenpartei als “Embedded Demobeobachter” vor Ort (Zweiter Bericht)

Freiheit, Demokratie und Transparenz

+++ Unabhängige Beobachtung des Polizeieinsatzes durch Abgeordnete nicht möglich +++ Abgeordnete der Piratenpartei beantragen im Landtag Klärung der finanziellen Konsequenzen +++ Piratenpartei kritisiert maritime Sicherheitspolitik +++
Am gestrigen Dienstag waren Uli König und ich wieder als Abgeordnete der Piratenpartei in Lübeck, um die Demonstrationen gegen den G7-Außenministergipfel und den Polizeieinsatz zu beobachten. Auch andere Mitglieder der Piratenpartei haben ihre Beobachtungen und Fotos auf Twitter veröffentlicht – lesenswert.
g7hl-rundfahrtEntgegen der am Montag ausgehändigten Abgeordneten-Akkreditierung ist es mir als Volksvertreter leider nicht ermöglicht worden, polizeiliche Maßnahmen (z.B. gegen Versammlungsteilnehmer) auch innerhalb polizeilicher Absperrungen in Begleitung zu beobachten. Die zur Begleitung der Abgeordneten vorgesehenen Beamte waren damit ausgelastet, Besuchertouren durchzuführen, bei denen man nur im Vorbeifahren von dem Geschehen etwas mitbekam (siehe Foto). Die direkte Beobachtung polizeilicher Maßnahmen zu ermöglichen und sich über deren Gründe zu informieren, sei nicht Aufgabe des Besucherdienstes und wurde als Störung des reibungslosen Ablaufs des Einsatzes bewertet. Wir durften weder das Lagezentrum beobachten noch Einblick in das polizeiliche Protokoll des Einsatzgeschehens nehmen. Eine punktuelle Besichtigung der Gefangenensammelstelle zu einem vorgegebenen Zeitpunkt war möglich, nicht jedoch die längerfristige Beobachtung etwa des Umgangs mit den 11 gestern in Gewahrsam genommenen Personen.
Wegen der zeitlichen Belastung der Öffentlichkeitsarbeit und weil diese nicht fortlaufend über das Einsatzgeschehen informiert wird, werden auch Fragen von uns Volksvertretern nicht oder nicht vollständig beantwortet. Auf folgende Fragen haben wir gestern und auch heute bisher keine Antwort bekommen (Auszug):

1. Für welchen Zeitraum und an welchen Orten genau wird Lübeck als gefährlicher/gefährdeter Ort angesehen, an dem auch ohne konkrete Gefahr mit Identitätsfeststellungen und Durchsuchungen zu rechnen ist?
2. An wen können sich Rechtsanwälte wenden, um die Interessen der Betroffenen von polizeilichen Maßnahmen gegenüber der Polizei zu vertreten (Telefonnummer)?
3. Ist eine richterliche Entscheidung über die heute nacht erfolgte Ingewahrsamnahme ergangen? Mit welcher Begründung erfolgte diese Ingewahrsamnahme?
4. Erfolgt bei Ingewahrsamnahmen eine Entkleidung/Leibesvisitation?
5. Wie wird bei Ingewahrsamnahme Minderjähriger verfahren? Erfolgtauch bei diesen eine Entkleidung/Leibesvisitation?
6. Wie können die Personen im Gewahrsam auf sich aufmerksam machen, wenn sie auf Toilette müssen oder gesundheitliche Probleme haben?

Nach den uns verfügbaren Informationen ist eine vierstellige Zahl von Menschen gestern friedlich durch Lübeck gezogen, um gegen die Politik der G7-Staaten zu protestieren – das freut mich. Erst nach Beendigung der Versammlung hat es sich ein kleinerer Teil der Teilnehmer leider nicht nehmen lassen, zu versuchen, durch polizeiliche Absperrungen zu den Außenministern im Rathaus zu gelangen, um diese zu stören. Diese sinnlose Aktion hat zu Zusammenstößen mit der Polizei, Einkesselungen, Ingewahrsamnahmen, zur Verkehrssperrung der Innenstadt und zu Absperrungen auch für Fußgänger geführt.
Die Polizei ist sichtlich bemüht, die Sicherheitsmaßnahmen in Grenzen zu halten. Die Sicherheitszonen wurden eher klein gehalten und Sperrungen sobald wie möglich wieder aufgehoben, Kessel wieder aufgelöst, die 11 gestern in Gewahrsam genommenen Personen wurden nach Ende des Abendessens der Außenminister (gegen 23.15 Uhr) wieder auf freien Fuß gesetzt. Demonstranten wie auch Polizei haben dafür gesorgt, dass Lübeck nicht zu einem zweiten Frankfurt wurde – gut so.
g7hl-absperrungTrotz aller Bemühungen aber geht mit der Ausrichtung des G7-Außenministertreffens notwendig eine massive Einschränkung des öffentlichen Lebens in Lübeck und der Bewegungsfreiheit seiner Bürger einher. Die Stadt wird teils zur “Festung” gemacht und damit ihren Bürgern genommen. Auch heute morgen wieder wurden Verkehrswege und Wasserwege weitreichend lahmgelegt.
Als Piratenpartei haben wir gestern in einer Pressemitteilung die Wahl des Tagungsorts abgelehnt und die Politik der G7-Staaten kritisiert: “PIRATEN-Kritik an G7-Gipfel: Verstoß gegen Bürgerrechte, Transparenz und Bürgerbeteiligung” Einer Diskussion mit ihren Kritikern stellen sich die Politiker nicht (es gab lediglich eine Fragerunde von Jugendlichen an Bundesaußenminister Steinmeier).
Hinzu kommt, dass die Öffentlichkeit über die Einschränkungen der Benutzbarkeit ihrer Stadt nur unzureichend informiert wird und Bürgermeister Saxe etwa über ihr Ausmaß sogar aktiv getäuscht hat. Aktuell werden Verkehrssperrungen zwar öffentlich angekündigt. Fußgänger erfahren jedoch beispielsweise nicht, wo sie mit Durchsuchungen und Ausweiskontrollen ohne konkreten Verdacht rechnen müssen. Dadurch können sie solche Kontrollen nicht vermeiden.
Die Polizei hat uns gegenüber bestätigt, dass man infolge von Manipulationen an einem Verteilerkasten sowie Pflastersteinfunden auch außerhalb der Absperrzonen von einem “gefährlichen Ort” ausgehe, an dem Bürger identifiziert und durchsucht werden dürfen. Wie lange und wo genau dies erfolgt, war nicht in Erfahrung zu bringen.
Laut Polizei soll es gestern 39 Personalienfeststellungen und 11 Sicherstellungen/Beschlagnahmen gegeben haben (die Polizeibilanz ist auch im Übrigen aufschlussreich). Wie viele Personen insgesamt im öffentlichen Raum durchsucht wurden, wird jedoch nicht mitgeteilt. Das wird im Nachhinein ebenso aufzuarbeiten sein wie die Begründung der einzelnen Maßnahmen. So sollen Personen identifiziert und durchsucht worden sein, die in der Stadt Essen einkaufen wollten.
Im Landtag werden wir als Abgeordnete der Piratenpartei Rechenschaft auch über die Einsatzkosten in Millionenhöhe einfordern und wie sie das hochverschuldete Schleswig-Holstein aufbringen will – mit noch mehr Schulden? Heute wollen wir im Landtag einen Bericht in der nächsten Tagung des Landtags beantragen.
Ebenfalls heute wollen die G7-Außenminister eine Lübecker Erklärung zur maritimen Sicherheit verabschieden. Als Piratenpartei wollen wir uns in einer Pressemitteilung kritisch dazu äußern, was die G7-Staaten unter “maritimer Sicherheit” verstehen: Wir kritisieren die Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben durch das Militär auf See, die Privatisierung der Gefahrenabwehr auf Schiffen und den Einsatz militärischer Mittel sowie Überwachungstechnologie gegen Migration auf dem Seeweg. Die Pressemitteilung soll im Laufe des Tages veröffentlicht werden.
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