Apotheken-Datenhändler VSA lässt Kritik von Datenschützer Weichert gerichtlich verbieten
Auf Antrag des Apotheken-Rechenzentrums VSA hat das Verwaltungsgericht Schleswig dem schleswig-holsteinischen Landesdatenschutzbeauftragten Dr. Thilo Weichert Kritik am Verkauf nicht-anonymisierter Rezeptdaten verboten (siehe dazu den Artikel Rezeptverkauf stoppen – Strafanzeige stellen).
Nach dem hier erstmals veröffentlichten Gerichtsbeschluss vom 05.11.2013 (Az. 8 B 50/13) darf der Datenschützer den Datenverkauf nicht mehr als “illegal” bezeichnen, die unzureichende Anonymisierung der verkauften Daten nicht kritisieren und auch nicht mehr von einem “Datenskandal” sprechen. Begründung: Weichert sei für die in Bayern ansässige VSA nicht zuständig, an einem öffentlichen Meinungsaustausch über die umstrittene rechtliche Bewertung bestehe kein berechtigtes Interesse, Weichert könne seine Vorwürfe nicht beweisen (weil die VSA ihr Verschlüsselungsverfahren nicht offenlegt), die Bezeichnung als “Datenskandal” sei “nicht sachgerecht”.
Ich halte die Entscheidung für rechtswidrig, ihre Folgen für den Datenschutz fatal: Die Datenschutzbeauftragten sind aus gutem Grund von Staat und Wirtschaft unabhängig. Deswegen kann es der Wirtschaft nicht gestattet sein, Bewertungen der Datenschutzbeauftragten gerichtlich verbieten zu lassen (außer in krassen und eindeutigen Fällen). Natürlich muss es unseren Datenschutzbeauftragten auch erlaubt sein, sich über die Landesgrenze hinaus zu äußern – zumal auch schleswig-holsteinische Apotheken über die VSA abrechnen können. Und selbstverständlich brauchen wir auch zwischen den Datenschutz-Aufsichtsbehörden einen fruchtbaren, öffentlichen Streit über die richtige Bewertung (meines Erachtens liegt Thilo Weichert hier goldrichtig und die bayerische Datenschutzaufsicht falsch: Verschlüsselung ist keine Anonymisierung, weil über Brute Force rückrechenbar).
Es freut mich sehr, dass Thilo Weichert beim Oberverwaltungsgericht Beschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt hat. Er hat meine volle Unterstützung. Falls nötig, werde ich mich auch für eine Gesetzesänderung einsetzen. Wenn unser Datenschutzbeauftragter unser Recht auf informationelle Selbstbestimmung verteidigen soll – und kaum jemand tut dies so engagiert wie Thilo Weichert -, darf er nicht mundtot gemacht werden!
Übrigens: Dem Spiegel ist inzwischen offenbar auch die Berichterstattung verboten worden, der Artikel “Apotheken verkaufen vertrauliche Daten” ist nicht mehr dort abrufbar, er ist jedoch (noch?) im Internetarchiv gespiegelt. Es gibt auch noch andere Berichte über die Kritik, die Thilo Weichert nun nicht mehr äußern darf.
Die Entscheidung im Wortlaut
Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, es bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 € zu unterlassen, folgende Äußerungen in der Medienöffentlichkeit – insbesondere in der Presse (samt Onlinein-halten), Rundfunk und Fernsehen – sowie im Internet, wörtlich und/oder sinngemäß zu verbreiten oder verbreiten zu lassen:
– die Antragsstellerin sei an einem der größten Datenskandale der Nachkriegszeit beteiligt
und/oder
– die Antragstellerin gebe keine anonymisierten, sondern pseudonomysierte Daten heraus,
und/oder
– die Antragstellerin handele unzulässig,
und/oder
– das Geschäftsmodell der Antragsstellerin sei illegal,
und/oder
– die von der Antragstellerin vorgenommene Verschlüsselung der Rezeptdaten sei nicht ausreichend,
und/oder
– die Antragstellerin begehe einen Rechtsverstoß,
und/oder
– die von der Antragsstellerin verschlüsselten Datensätze seien eindeutig zuordenbar,
und/oder
– eine Zuordnung der Daten zu Patienten sei von der Antrag-stellerin beabsichtigt,
und/oder
– die Antragstellerin handele mit Bereicherungsabsicht.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 20.000 € festgesetzt.
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