Warum ein Gericht klären muss, wie privat Surfen im Netz ist [extern]
Wie anonym ist das Surfen im Internet? Dazu bahnt sich auf europäischer Ebene eine schon jetzt umstrittene Grundsatzentscheidung an.
Zu den Nutzerrechten in der digitalen Welt hat Patrick Breyer eine klare Meinung: „Als Generation Internet haben wir das Recht, uns im Netz ebenso unbeobachtet und unbefangen informieren zu können, wie es unsere Eltern aus Zeitung, Radio oder Büchern konnten!“ Das will sich Breyer, der für die Piratenpartei im schleswig-holsteinischen Landtag sitzt, vor Gericht bestätigen lassen.
Er klagt, weil staatliche Netzportale wie etwa das des Innenministeriums oder des Bundestags umfänglich protokollieren, wer sie aufgerufen hat: Computeradresse, Zeitpunkt und Länge des Zugriffs, Datenmenge, Suchbegriffe, Kommentare werden erfasst. Nur wenn die individuellen Computerkennungen, die sogenannten IP-Adressen, nicht gespeichert würden, „kann ich anonym surfen, ohne befürchten zu müssen, Nachteile zu haben wegen dem, was ich gelesen oder geschrieben habe“, findet Breyer.
IP-Adressen fallen unter Persönlichkeitsschutz
Mit seinem Vorstoß ist der Piraten-Politiker nun auf der europäischen Ebene gelandet. Der Karlsruher Bundesgerichtshof hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg die Frage zur Grundsatzentscheidung vorgelegt, was das EU-Recht zum Umgang mit den IP-Adressen sagt. Das Urteil könnte weitreichende Folgen auch für private Anbieter von Internetseiten und deren Geschäftsmodelle mit personalisierter Werbung haben.
Was sich genau verändert, wird erst in einigen Monaten klar, wenn das Urteil fällt. Aber seit Mittwoch gibt es eine Tendenz: Der Generalanwalt Manuel Campos Sánchez-Bordona hat ein wichtiges Gutachten vorgelegt, an dem sich der definitive Spruch nicht immer, aber doch oft orientiert.
Die Stellungnahme des Generalanwalts enthält für Internetnutzer eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute lautet: Nicht nur bei den fest zugeordneten Computer-Adressen, sondern auch bei „dynamischen“, also nur vorübergehend zugeordneten IP-Adressen, greift der Persönlichkeitsschutz. Schlicht gesagt bedeutet dies: Die Kennung meines Computers ist unter bestimmten Voraussetzungen Teil meines Privatlebens. Zwar könne der Seitenanbieter über die Gerätekennung nicht unmittelbar feststellen, wer ihn kontaktiert hat, argumentiert Campos Sánchez-Bordona in seiner Stellungnahme für den Europäischen Gerichtshof. Über die entsprechenden Daten verfüge aber der jeweilige Zugangsdienstleister (Provider). Also sei eine IP-Adresse, die ein Dienstanbieter beim Zugriff auf seine Internetseite speichert „ein personenbezogenes Datum“. Die Bundesregierung hatte das bestritten.
Wird am Ende der deutsche Datenschutz ausgehebelt?
Die schlechte Nachricht für Datenschutz-Aktivisten: Die deutsche Rechtslage ist dem Generalanwalt zu restriktiv. Das deutsche Telemediengesetz erlaubt nämlich die Speicherung von IP-Daten nur, um „die Inanspruchnahme von Telemedien zu ermöglichen und abzurechnen“. Da seien die einschlägigen europäischen Bestimmungen „großzügiger“, stellt Sánchez-Bordona fest.
Danach könnte eine Speicherung auch dann zulässig sein, wenn sich zum Beispiel der Portalbetreiber gegen einen Cyberangriff schützen will. Hier sollen Gerichte im Einzelfall abwägen, ob der Persönlichkeitsschutz Vorrang hat.
Breyer findet das verheerend. „Es wird offengelassen, ob die IP-Adressen anlasslos gespeichert werden dürfen oder nicht. Die datenschutzfreundliche deutsche Regelung wird ausgehebelt.“ Trotzdem ist der Abgeordnete nicht völlig unzufrieden. Immerhin bahne sich ein Ende der hemmungslosen Speicherei an. „Das Spiel geht in die Verlängerung“, meint Breyer.
Knut Pries
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