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Wahlcomputer: Warum Online-Wahlen nicht eingeführt werden dürfen

Freiheit, Demokratie und Transparenz Landtag

250px-Stell-dir-vor-du-wirst-gefragtStudenten der Uni Kiel untersuchen unter anderem, ob Online-Wahlen die Wahlbeteiligung erhöhen könnten. Ich veröffentliche hier meine Stellungnahme und wäre für Rückmeldungen dankbar.

Projektseminar „Reform der Demokratie in Schleswig-Holstein

Fragebogen

1. In Ihrem Änderungsantrag stellen Sie fest, dass Online-Wahlen kein geeignetes Mittel sind, die Motivation zur Teilnahme an Wahlen zu erhöhen. Die Umsetzung in Estland zeigt jedoch, dass die Online-Wahl angenommen wird und zugleich die Wahlbeteiligung steigt. Inwiefern denken Sie wären solche Ergebnisse zur Erhöhung der Motivation nicht auch auf Schleswig-Holstein zu übertragen?
Dass eine Computerwahl die Wahlbeteiligung über die Möglichkeiten der Briefwahl hinaus steigern würde, ist in der Praxis nicht nachzuweisen [1] [2]. Auch in Estland ist keine merkliche Steigerung der Wahlbeteiligung gerade auf die Computerwahl zurückzuführen. Wenn ich es richtig verstehe, haben in Estland wohnende Wähler keine Möglichkeit zur Briefwahl. Etwaige positive Effekte der estnischen Computerwahl lassen sich daher nicht auf Länder mit Briefwahl übertragen.
Umgekehrt erhöht Computerwahl die soziale Ausschlusswirkung von demokratischen Wahlen, ist also sozial noch selektiver als die herkömmliche Wahl. Wir befürchten vor allem dadurch einen Rückgang der Wahlbeteiligung, dass mit Computerwahlen die Gefahr der massenhaften Manipulation geschaffen würde und dadurch das Vertrauen auch der herkömmlich Wählenden in die Integrität des Gesamtergebnisses der Wahl erschüttert würde.
2. (Beispielsweise) Professor Dieter Otten arbeitet an Verfahren, die Online-Wahlen vor Manipulation schützen sollen. In seinem Verfahren kommen – ähnlich wie auch in anderen Nationen bereits praktiziert – personalisierte Chips zum Einsatz. Würden Ihre Vorbehalte gegen die Online-Wahl schwinden, sobald eine ausreichende Sicherheit des Wahlverfahrens gewährleistet werden könnte?
Computerwahlen ist die Gefahr technischer Manipulation mit unüberschaubaren, massenhaften Auswirkungen immanent; dies gilt unabhängig vom Verfahren. Siehe zu Estland: https://estoniaevoting.org/
Im Übrigen beruht die Verfassungswidrigkeit des Verfahrens auf der Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit und öffentlichen Nachprüfbarkeit der Wahl. Bei einer Computerwahl kann die Öffentlichkeit die Auszählung nicht beobachten.
2.1 Auch die Briefwahl ist im Prinzip nicht fälschungssicher. Eine einfache E-mail an die zuständige Wahlbehörde ohne Nachweis der Identität kann genügen, um sich die Wahlunterlagen zuschicken zu lassen. Müsste unter der obersten Prämisse der Manipulationssicherheit einer Wahl auch dieses Verfahren geprüft werden?
Etwaige Manipulationen bei der Briefwahl wirken sich nur bei einzelnen Stimmen aus, während Manipulationen an Wahlcomputern das gesamte Ergebnis massenhaft verfälschen können.
2.2 Die Rechtsprechung des BVerfG hat die Briefwahl in der Vergangenheit als Ausnahme zur persönlichen Stimmabgabe interpretiert. Die Einführung von Online-Wahlen basiert jedoch auf der gegenläufigen Idee zusätzliche Wahlmöglichkeit als Alternative zur persönlichen Stimmabgabe zu schaffen. Sehen Sie darin eine Erosion der Wahlrechtsgrundsätze des Grundgesetzes?
Ja. Computerwahlen schaffen nicht nur das Risiko, dass das Ergebnis der via Computer abgegebenen Stimmen massenhaft manipuliert sein könnte. Dies kann vielmehr auch das Gesamtergebnis unter Einschluss der herkömmlich abgegebenen Stimmen verfälschen und ggf. in sein Gegenteil verkehren. Die “zusätzliche Möglichkeit” würde also die Integrität der gesamten Wahl in Frage stellen.
3. Professor Alexander Roßnagel von der Projektgruppe für verfassungsverträgliche Technik hat als Idee, um das Verbot des Bundesverfassungsgerichts zu umgehen, ein TÜV-Modell als Vorschlag eingebracht. Demzufolge würden Experten mit Know-How die elektronischen Wahlvorrichtungen begutachten und auf deren Zuverlässigkeit testen. Der Bürger ohne technisches Wissen könnte also trotzdem davon ausgehen, dass ein Experte für die ordnungsgemäße Verbuchung seiner Stimme garantieren würde. Wäre so ein Modell für Sie vorstellbar?
Nein. Laut Bundesverfassungsgericht muss der Wähler selbst Stimmabgabe und -auszählung unmittelbar nachvollziehen können. Er muss sich nicht auf Aussagen Dritter verlassen.
4. Ihre Partei wird oftmals mit einer zukunftsgewandten und politischen Nutzung des Internets assoziiert (Liquid Feedback o.Ä.). Dennoch hat Ihre Partei als einzige gegen Online-Wahlen Stellung bezogen. Sorgt gerade diese Affinität zum Internet dafür, dass Ihre Partei Risiken in diesem Feld anders einschätzt, als andere Parteien?
Ja, als IT-affine Partei kennen wir die Gefahren der Informationstechnologie und die Grenzen ihrer Nutzbarkeit besser. Wir sind für weitaus mehr politische Transparenz und Beteiligung über das Internet, aber für politische Abstimmungen und Wahlen sind Computer ungeeignet.
4.1. Wie erklären Sie sich, dass die anderen Parteien explizit den Punkt einer Online-Wahl in ihren Antrag aufgenommen haben, obwohl das Bundesverfassungsgericht diese 2009 explizit ausgeschlossen hat?
Aus Teilnehmerkreisen ist zu hören, eine Partei habe diesen Punkt unbedingt aufnehmen wollen; es sei allerdings klar gewesen, dass er nach rechtlicher Prüfung herausfallen würde. Hätten wir uns ansonsten dem Antrag angeschlossen, wären die übrigen Parteien auch von vornherein zur Streichung aus dem Katalog bereit gewesen. Wir hatten aber ganz grundlegende Kritik an dem Antrag, deshalb kam ein Anschluss nicht in Frage.
5. Sind Sie der Meinung die Einführung von Online-Wahlen birgt die Gefahr, dass die Wahl „per Mausklick“ zu einer Entwertung der Wählerstimme (junk vote) beiträgt und die gesellschaftliche Wichtigkeit von Wahlen unterminiert?
Das ist eine Frage, die wissenschaftlich zu untersuchen wäre. Ich kann nicht beurteilen, ob dieser Effekt in der Praxis auftritt.
6. Das Urteil des Bundesverfassungsgericht 2009 hindert den Gesetzgeber nicht daran bei den Wahlen elektronische Wahlgeräte einzusetzen, solange die „verfassungsrechtlich gebotene Möglichkeit einer zuverlässigen Richtigkeitskontrolle gesichert ist“ (etwa in Form von Papierausdrucken oder der zusätzlichen Erfassung der Stimmzettel per Scanner). Sehen Sie diesen Mehraufwand als gerechtfertigt an, wenn sich dadurch eine Erhöhung der Wahlbeteiligung erreichen lässt?
Nein. Die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts lassen sich nicht vom heimischen PC aus erfüllen, sondern allenfalls mithilfe von Computern in Wahllokalen. Damit entfallen aber die Erleichterungen, von denen sich Befürworter eine Erhöhung der Wahlbeteiligung versprechen.

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