Überwachung in vollen Zügen: Videoüberwachung in Schleswig-Holsteins Zügen und Bahnhöfen trägt kaum zur Aufklärung von Gewaltdelikten bei
Bisher unveröffentlichte Zahlen der Bundespolizei belegen, dass Gewaltdelikte in Zügen oder an Bahnhöfen in Schleswig-Holstein selten sind und außerordentlich häufig aufgeklärt werden – und das ganz regelmäßig ohne Nutzung von Videoaufzeichnungsmaterial!
Nach Angaben der Landesweiten Verkehrsservicegesellschaft (LVS) wurden 2012 in den Nahverkehrszügen in Schleswig-Holstein insgesamt knapp 53 Millionen Fahrgäste befördert. Die Bundespolizei zählte im gleichen Jahr 64 Gewaltdelikte in Schleswig-Holsteins Zügen. Also liegt das Risiko, hierzulande im Zug Opfer einer Gewalttat zu werden, bei 1:800.000. Das entspricht etwa der Wahrscheinlichkeit vom Blitz getroffen zu werden. 99,7% der Gewaltkriminalität in Schleswig-Holstein (23.488 registrierte Fälle von Körperverletzung und Raub im Jahr 2012) wird außerhalb von Bahnhöfen und Zügen begangen. Bahnreisende fahren also besonders sicher. Aber trägt die Videoüberwachung dazu bei?
Die Aufklärungsquote von Gewaltdelikten in der Bahn ist mit 77% außerordentlich hoch. Doch bei gerade einmal 7 der insgesamt 311 Gewaltdelikte, die 2013 an Schleswig-Holsteins Bahnhöfen und in Zügen registriert wurden, wurde ein Tatverdächtiger mithilfe von Bildern aus Überwachungskameras ermittelt. Und ob die ermittelten Verdächtigen in diesen sieben Fällen tatsächlich die Täter waren (also verurteilt wurden), bleibt offen. Ob die Delikte auch ohne Überwachungsbänder aufgeklärt worden wären, bleibt ebenfalls offen. Nüchtern betrachtet ist die Bilanz der Videoüberwachung vernichtend.
Wir Piraten haben schon immer deutlich gemacht, dass die Video-Bandaufzeichnung in Zügen Sicherheit nur vortäuscht. Diese angebliche Sicherheit wird als Rechtfertigung missbraucht, um immer mehr Personal einzusparen. Aber die bloße Illusion und Meinungsumfragen, die auf dieser Illusion aufbauen, rechtfertigen es nicht, tausende rechtschaffener Menschen alltäglich zu überwachen. Der Landesdatenschutzbeauftragte weist zurecht darauf hin, dass die Bahn in Schleswig-Holstein keinen Kriminalitätsschwerpunkt darstellt. Eine höhere Aufklärungsquote durch Videoüberwachung ist nicht nachzuweisen.
Die Piratenfraktion im Landtag fordert daher, dass das Land die Vertragsklausel streicht, wonach Bahnunternehmen ihre Fahrgäste in Zügen videoüberwachen müssen. Das Geld sollte stattdessen in eine helle, übersichtliche und gut einsehbare bauliche Gestaltung von Bahnhöfen mit Rückzugsmöglichkeiten wie Wartehäuschen, in die Beseitigung von Verschmutzungen und eine angemessene Präsenz und Erreichbarkeit von Sicherheitspersonal investiert werden. Das schafft tatsächlich mehr Sicherheit und nicht nur die Illusion davon.
Wir nutzen unsere Möglichkeiten im Landtag, um entschlossen gegen die ausufernde Dauerüberwachung von Reisenden in Schleswig-Holsteins Zügen Position zu beziehen und haben einen entsprechenden Antrag gestellt. Meine Rede im Landtag könnt ihr auch als Video anschauen. In einem weiteren Antrag wenden wir uns gegen die Videoüberwachung an Bahnhöfen. Auch hier gibt es die Rede dazu als Video auf YouTube. Beide Anträge befinden sich noch in der parlamentarischen Beratung, da sich SPD, Grüne und SSW über ihre Position dazu noch nicht einig werden konnten.
Wenn ihr mehr zum Thema lesen wollt, findet ihr über die folgenden Links weitere Informationen zur Videoüberwachung von Bahnreisenden:
- Bundesweite Zahlen: Aufklärungsquote 75%
- Sicherheitsbericht der Bahn: Zahl der Körperverletzungen “mit 40 Taten bei 7,4 Millionen Reisenden am Tag auf einem niedrigen Niveau”
- Position der Deutschen Bahn: Videoüberwachung in Zügen nur, wenn die Bahn dazu vertraglich verpflichtet wird
- Position der Nord-Ostseebahn: “kaum Übergriffe oder Vandalismus”
- Position Gewerkschaft der Polizei: Präsenz wirksamer als Überwachung
- Position des Landesdatenschutzbeauftragten: Gefühlte Sicherheit genügt nicht
- Position der Landesweiten Verkehrsservicegesellschaft (LVS): keine Studien zum Beleg eines Nutzens, hohe Kosten stellen Sinnhaftigkeit in Frage
- Studie: Überwachungskameras kein geeignetes Mittel, um Straftaten gegen Personen in öffentlichen Verkehrsmitteln zu verhindern und die Sicherheit zu erhöhen (S. 6)
- Studie stellt fest, “dass mit der Videoüberwachungsmaßnahme die Aufdeckungsrate nicht steigt.” (S. 100)
- Überwachungskameras stärken laut einer Studie nicht das Sicherheitsgefühl der Überwachten, Kameras zeigten “weder positive noch negative Auswirkungen auf das Sicherheitsempfinden” (S. 60)
- Studie: Videoüberwachung erhöht Sicherheitsgefühl nicht, von acht Sicherheitsfaktoren spielt Videoüberwachung die geringste Rolle
- AK-Vorrat-Flyer zum Thema Videoüberwachung (bestellen)
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