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SPD will freiwillige Chatkontrolle durch Big Tech-Konzerne verlängern

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Nachdem die EU-Pläne zur verpflichtenden Durchleuchtung privater Kommunikation und Aufhebung sicherer Verschlüsselung (Chatkontrolle 2.0) mangels Mehrheit im EU-Rat vorerst auf Eis liegen, will nun die Parlamentsberichterstatterin Birgit Sippel (SPD) dem Kommissionsvorschlag zur Verlängerung der bestehenden freiwilligen verdachtslosen Chatkontrolle mit kleineren Änderungen zustimmen. Bisher ist die von US-Konzernen wie Meta, Google und Microsoft eigenmächtig praktizierte Chatkontrolle privater Nachrichten über Instagram Messenger, Facebook Messenger, GMail und XBox bis zum 3. August 2024 befristet. Der Europaabgeordnete und profilierteste Gegner der Chatkontrolle Dr. Patrick Breyer (Piratenpartei), zugleich Verhandlungsführer seiner Fraktion, kommentiert:


„Statt den neuen Vorschlag des EU-Parlaments zu einem wirksameren und gerichtsfesten Kinderschutz ohne Chatkontrolle aufzugreifen, beharrt EU-Kommissarin ‚Big Sister‘ Johansson unverbesserlich auf einer Zerstörung des digitalen Briefgeheimnisses, spielt auf Zeit und hofft kritische EU-Staaten mit infamen Kampagnen und Falschinformationen zur Zustimmung zu manipulieren. Diesen Machenschaften sollten wir eine klare Absage erteilen und auf den vom Parlament vorgeschlagenen Lösungen ohne Massenüberwachung bestehen.“

Ausweislich ihres Berichtsentwurfs will Sippel die freiwillige Chatkontrolle um ein Jahr statt wie von der Kommission vorgeschlagen um zwei Jahre oder wie vom Rat gefordert um drei Jahre verlängern. Die automatisierte Durchleuchtung von Chattexten nach Grooming-relevanten Schlüsselworten will sie auslaufen lassen – allerdings wird diese im Vergleich zur Durchleuchtung privater Bilder und Videos ohnehin kaum angewandt und macht nur 0,2% der Meldungen aus.

Breyer kritisiert das Instrument der freiwilligen Chatkontrolle scharf: „Die freiwillige Massenüberwachung unserer persönlichen Nachrichten und Fotos durch US-Dienste wie Meta, Google oder Microsoft leistet keinen signifikanten Beitrag zur Rettung missbrauchter Kinder oder Überführung von Missbrauchtätern, sondern kriminalisiert umgekehrt tausende Minderjähriger, überlastet Strafverfolger und öffnet einer willkürlichen Privatjustiz der Internetkonzerne Tür und Tor. Wenn nach Johanssons eigenen Angaben nur jede vierte Meldung überhaupt für die Polizei relevant ist, bedeutet das für Deutschland Jahr für Jahr 75.000 ausgeleitete intime Strandfotos und Nacktbilder, die bei unbekannten Moderatoren im Ausland nicht sicher sind und in deren Händen nichts zu suchen haben.

„Die Verordnung zur freiwilligen Chatkontrolle ist sowohl unnötig als auch grundrechtswidrig: Die sozialen Netzwerke als Hostingdienste brauchen zur Überprüfung öffentlicher Posts keine Verordnung. Dasselbe gilt für Verdachtsmeldungen durch Nutzer. Und die fehleranfälligen automatisierten Meldungen aus der Durchleuchtung privater Kommunikation durch Zuckerbergs Meta-Konzern, die 80% der Chatmeldungen ausmachen, werden durch die angekündigte Einführung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ohnehin entfallen. Das Rechtsgutachten einer ehemaligen EuGH-Richterin belegt, dass die freiwillige Chatkontrolle als verdachtslose und flächendeckende Überwachungsmaßnahme grundrechtswidrig ist. Ein Missbrauchsbetroffener und ich klagen dagegen. Und das Digitalministerium hat bestätigt, dass die Ausnahmeverordnung eine freiwillige Chatkontrolle in Deutschland überhaupt nicht möglich macht.“ 



Der Innenausschuss (LIBE) soll die Fortsetzung der freiwilligen Chatkontrolle bereits am 29. Januar billigen. Mit dem Rat will sich das Parlament in der zweiten Februarwoche einig werden, und abgesegnet werden soll die Verlängerung kurz danach.

Unterdessen sollen die EU-Innenminister nach der Planung der belgischen Ratspräsidentschaft im März erneut über die Einführung der für alle Anbieter verpflichtende Chatkontrolle 2.0 abstimmen.