Schadensersatzforderungen und US-Bieter auf Ausschreibungen? Anfrage zu Auswirkungen des TTIP-Freihandelsabkommens auf Landesebene geplant
Auf Initiative des TTIP-Beauftragten der Piratenpartei Bruno Kramm will ich die Landesregierung fragen, welche Auswirkungen das Abkommen auf unser Bundesland und unsere Kommunen hätte:
Auswirkungen der Freihandelsabkommen CETA und TTIP mit Kanada und den USA auf das Land
I. Streitbeilegungsmechanismus ISDS
1. Gemäß der Europäischen Energiecharta besteht die Möglichkeit von Investor-Staat-Schiedsgerichtsklagen bereits heute. Nach deutschem Verwaltungsrecht erfolgte Auflagen der Freien und Hansestadt Hamburg als Genehmigungsbehörde gegen das Kohlekraftwerksprojekt Hamburg-Moorburg wurden vom schwedischen Betreiber Vattenfall vor einem solchen außerstaatlichen Schiedsgericht beklagt. Die Klage endete mit einem Vergleich, Hamburg schwächte seine Genehmigungsauflagen ab.
Sieht die Landesregierung die Möglichkeit vergleichbarer Klagen von Investoren aus den USA oder Kanada auch für den Fall eines Inkrafttretens der jeweiligen Freihandelsabkommen? Welche politischen Konsequenzen zieht die Landesregierung aus dieser Möglichkeit?
2. Wer würde im Falle einer erfolgreichen Klage eines Investors aus den USA bzw. Kanada gegen Verwaltungsentscheidungen oder gesetzgeberische Maßnahmen des Landes haften, das Land oder der Bund?
3. Der Landtag hat die Landesregierung aufgefordert, sich gegen die Einführung des geplanten Streitbeilegungsmechanismus, über den private Investoren Nationalstaaten direkt auf Schadensersatz verklagen können, einzusetzen.
Wird die Landesregierung im Bundesrat einem Freihandelsabkommen der EU mit Kanada bzw. den USA zustimmen, das ein Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren beinhaltet, mit dem Investoren aus diesen Ländern im Gegensatz zu inländischen Investoren das Land außerhalb des üblichen Rechtswegs vor einem internationalen Schiedsgericht verklagen können und damit objektiv bessergestellt werden als inländische Investoren?
II. Transparenz
4. Der Bundesrat hat am 7.6.2013 (Drs. 464/13) u.a. beschlossen: »Der Bundesrat ruft die Bundesregierung dazu auf, die Länder in regelmäßigen Abständen zum Fortgang der Beratungen im handelspolitischen Ausschuss der EU umfassend und kontinuierlich zu informieren, insbesondere im Hinblick auf die möglicherweise tangierten Länderkompetenzen und die im Falle eines Inkrafttretens möglicherweise umzusetzenden Rechtsvorschriften. Der Bundesrat verweist diesbezüglich auf die Verpflichtungen, die für die Bundesregierung aus dem Lindauer Abkommen erwachsen.«
In welcher Weise ist die Bundesregierung dieser Aufforderung nachgekommen, die Landesregierung zu informieren?
5. Wie kann die Bundesregierung nach Auffassung der Landesregierung die Länder umfassend und kontinuierlich informieren, wenn die USA sich weiterhin weigern, der EU-Kommission die Erlaubnis zu erteilen, die amerikanischen Verhandlungspapiere den EU-Mitgliedsstaaten zugänglich zu machen, und die Bundesregierung somit selbst nur ein lückenhaftes Bild von den Verhandlungen hat?
6. Der Bundesrat hat am 7.6.2013 ferner beschlossen: »Der Bundesrat fordert angesichts der Tragweite und Bedeutung des zu verhandelnden Abkommens die Bundesregierung auf, sich für die Veröffentlichung der Verhandlungsmandate sowie eine transparente Verhandlungsführung einzusetzen.«
Wie bewertet die Landesregierung die Tatsache, dass die Bundesregierung trotz klarer Aufforderung des Bundesrats im Rat gegen den französischen Vorschlag, das EU-Verhandlungsmandat zu veröffentlichen, gestimmt hat?
III. Öffentliche Daseinsvorsorge und öffentliche Beschaffung
7. Im geheimen EU-Verhandlungsmandat vom 17.6. werden in Punkt 24 »Öffentliches Beschaffungswesen« (Public Procurement) auch »öffentliche Versorgungsunternehmen« (public utilities) genannt (»The Agreement will aim at enhanced mutual access to public procurement markets at all administrative levels (national, regional and local), and in the fields of public utilities, covering relevant operations of undertakings operating in this field and ensuring treatment no less favorable than that accorded to local suppliers«). Nach der am 18.2. erzielten Vereinbarung zwischen EU-Handelskommissar de Gucht und dem US-Handelsbeauftragten Froman sollen alle Bereiche der »public utilities«, also der öffentlichen Daseinsvorsorge, von den Liberalisierungs- und Öffnungsverpflichtungen des TTIP betroffen sein, wenn sie nicht in einer »Negativliste« explizit ausgeschlossen sind. Der Bundesverband Öffentliche Dienstleistungen wertet diese TTIP-Negativliste am 20.01.2014 als möglichen Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip: »Die EU-Verträge sind hinsichtlich des weiten Ermessensspielraum und der Stellung der nationalen, regionalen und lokalen Behörden in den Mitgliedstaaten zur Bereitstellung und Erbringung von öffentlichen Dienstleistungen unmissverständlich und eindeutig. Folglich liegt die Kompetenz über entsprechende Maßnahmen zu entscheiden und diese umzusetzen bei den EU-Mitgliedstaaten und nicht bei den EU-Behörden. Folglich würde eine Annahme der Negativliste, wenn sie nicht abgeschwächt formuliert wird, gegen den fundamentalen Wert des Prinzips der Subsidiarität verstoßen.«
Teilt die Landesregierung diese Einschätzung des BVÖD? Wenn ja, welche Konsequenzen zieht sie daraus? Wenn nein, warum nicht?
8. Ist die Landesregierung der Auffassung, dass freier Zugang amerikanischer und kanadischer Unternehmen zu sämtlichen öffentlichen Ausschreibungen sowohl des Landes als auch auf kommunaler Ebene in Schleswig-Holstein in unserem Interesse liegt?
9. Im Zuge der Diskussionen um die umstrittene Beauftragung der auch für die NSA tätigen CSC-Gruppe durch öffentliche Einrichtungen wird zurzeit geprüft, wie vergaberechtlich ein Ausschluss nicht vertrauenswürdiger Konzerne von IT-Vergaben möglich ist.
Würde das geplante TTIP nach Einschätzung der Landesregierungen die Möglichkeiten von Verwaltung und Gesetzgebung einschränken, als nicht vertrauenswürdig eingeschätzte US-Konzerne von IT-Vergabeverfahren auszuschließen? Wenn ja, welche Konsequenzen sind daraus zu ziehen?
IV. „Lebendes Abkommen“
10. Die Europäische Kommission hat in ihrem Memo zur Verabschiedung des Verhandlungsmandates (MEMO/13/564 v. 14.06.2013) ausgeführt, daß die Anpassung der Regulierungen nicht vollständig indem Abkommen selbst erfolgen kannn. Vielmehr soll hierfür ein institutionalisiertes Verfahren festgelegt werden: “Da sich nicht alle Regelungsunterschiede auf einmal beseitigen lassen, streben die beiden Seiten Rahmengrundsätze für ein ‘lebendes Abkommen’ an, bei dem stufenweise nach vorab festgelegten Zielen und einem festen Zeitplan auf mehr Regelungskonvergenz hingearbeitet wird. Dadurch lassen sich bestehende Hindernisse beseitigen; gleichzeitig kann aber auch verhindert werden, dass künftig wieder neue Hindernisse errichtet werden.” Das im Dezember “geleakte” Positionspapier der Europäischen Kommission zum Thema “Regulatory Coherence” (Europäische Kommission: TTIP: Cross-cutting disciplines and institutional provisions – Position paper – Chapter on Regulatory Coherence) schlägt hierfür einen detaillierten Rahmen von Informationspflichten und Regulationsdialogen sowie die Einrichtung eines Regulierungsrates vor. Diesem Verfahren will die Kommission auch das Recht der Mitgliedstaten unterwerfen: “The rules of this Chapter should also extend to regulations by US States and EU Member States, subject to possible adaptations.”
Welche Auswirkungen hätte ein solches Verfahren für das Land?
11. Hält die Landesregierung das vorgesehenen Verfahren für vereinbar mit dem Subsidiaritätsprinzip?
12. Hält die Landesregierung diese Bestimmungen vor dem Hintergrund der BVerfG-Entscheidungen zu den Verträgen von Maastricht und Lissabon für verfassungsrechtlich unbedenklich?
13. Welche Anforderung entspringen hieraus ggf. für eine Beteiligung der Länder
a) an den laufenden Verhandlungen über das TTIP
b) im späteren Ratifizierungsverfahren?
14. Hält die Landesregierung vor diesem Hintergrund eine Überarbeitung der Regularien für die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in EU-Angelegenheiten (Grundgesetz, Integrationsverantwortungsgesetz, Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union, Bund-Länder-Vereinbarung v. 10.06.2010) für erforderlich?
Der Entwurf der Anfrage kann gerne im Pad direkt bearbeitet, ergänzt und kommentiert werden.
Die Anfrage soll dann in einigen Wochen eingereicht werden. Die Einreichung und auch die Antwort der Landesregierung werden im Landtagsinformationssystem sichtbar sein.
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