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Politische Werbung: Verbot von Wählermanipulation und Microtargeting gescheitert

Europaparlament Freiheit, Demokratie und Transparenz Pressemitteilungen

Gestern Nacht haben sich EU-Parlament und Rat auf neue Regeln zu Transparenz und Targeting politischer Werbung geeinigt. Das Parlament konnte eine öffentlich zugängliche Sammlung politischer Werbung („Ad library“) durchsetzen, jedoch bleiben gezielte politische Botschaften anhand der individuellen Vorlieben, Schwächen, Lebenssituation oder Persönlichkeit jedes Nutzers zulässig (sog. Überwachungswerbung). Der EU-Abgeordnete und digitale Freiheitskämpfer der Piratenpartei Dr. Patrick Breyer, der die Verordnung für den Innenausschuss mit verhandelt hat, zieht Bilanz:

„Die Targeting-Regeln sind eine Farce. Die digitale Manipulation von Wahlen im Stil von Cambridge Analytica, gezielte Desinformation vor Volksabstimmungen wie dem Brexit, widersprüchliche Wahlversprechen an unterschiedliche Wählergruppen à la FDP – all das bleibt zulässig. Davon profitieren vor allem antidemokratische und antieuropäische Kräfte: Sie können mithilfe von Überwachungswerbung weiterhin Hassbotschaften und Lügen gezielt bei denjenigen Wählerinnen und Wählern platzieren, die dafür empfänglich sind, um so unsere Demokratie zu zersetzen. Hier haben sich kurzsichtige Eigeninteressen der Regierenden an Wahlwerbung und das überwachungskapitalistische Profitinteresse der Digitalindustrie zu einer für die Demokratie toxischen Mischung verbunden.“

Die vereinbarten Targeting-Regeln im Einzelnen:

  1. Das bestehende Verbot im Digitale-Dienste-Gesetz (Digital Services Act), die politische Meinung des Nutzers, seine sexuelle Orientierung oder Gesundheit nicht für Werbezwecke analysieren zu dürfen, bleibt erhalten. In der Praxis wird politische Werbung aber eher an passenden Interessen und anderen Korrelationen ausgerichtet. Auch Cambridge Analytica analysierte vor der Wahl von Trump zum US-Präsidenten nicht die politische Meinung, sondern die Persönlichkeit der Nutzer, was zulässig bleibt.
  2. Die schon nach Datenschutz-Grundverordnung erforderliche Einwilligung bleibt Voraussetzung dafür, politische Werbung an der individuellen Situation des Nutzers und seines Internet-Nutzungsverhaltens ausrichten zu dürfen. Überwachungsdaten von Drittanbietern dürfen nicht genutzt werden. Das Parlament konnte erstmals ein Verbot lästiger Einwilligungsbanner durchsetzen, wenn der Nutzer per Browser-Voreinstellung („do not track“) personalisierte politische Werbung ablehnt. Das Parlament konnte auch erreichen, dass die Einwilligung in politische Überwachungswerbung nicht zur Bedingung für die Nutzung von Internetportalen gemacht werden darf („tracking walls“).

„Jeder Nutzer wird sich für oder gegen politische Überwachungswerbung entscheiden können“, erklärt Breyer. „Im besten Fall haben wir mit der gestrigen Einigung das Anfang vom Ende lästiger Cookiebanner und unverschämter Zwangseinwilligungsanforderungen eingeläutet. Auf diesen Grundstein können wir in den ePrivacy-Verhandlungen aufbauen und diese Regeln auf sämtliche Banner ausweiten. Im schlechtesten Fall werden die neuen Regeln durch suggestiv gestaltete Einwilligungsbanner und in AGB versteckte Einwilligungsklauseln ausgehebelt. Den Schutz demokratischer Wahlen auf die Entscheidung einzelner Internetnutzer abzuwälzen, ist ein gefährliches Versagen des Gesetzgebers, das von EU-Kommission und EU-Regierungen zu verantworten ist.“

Die neuen Regeln sollen im Wesentlichen 2025 in Kraft treten.