Massenhafte Handyortung im Norden: Generalstaatsanwalt blockt ab [ergänzt]
Am Mittwoch nahm der Generalstaatsanwalt im Innen- und Rechtsausschuss bezüglich Funkzellenabfragen in Schleswig-Holstein und der entsprechenden Richtlinie Stellung. Der NDR berichtet:
In Schleswig-Holstein wollen Strafermittler Handynutzer weiterhin nicht grundsätzlich informieren, wenn sie Gesprächs- und Standortdaten von ihnen erhoben haben. Generalstaatsanwalt Wolfgang Zepter erklärte am Mittwoch vor dem Innen- und Rechtsausschuss, Handynutzer hätten meistens kein Interesse an einer Benachrichtigung, wenn ihre Daten im Rahmen sogenannter Funkzellenabfragen erfasst würden. Die Landesdatenschutzbeauftragte Marit Hansen hatte im Oktober nach einer Überprüfung von Funkzellenabfragen den Staatsanwaltschaften vorgeworfen, teilweise gegen gesetzliche Informationspflichten zu verstoßen. Zepter wies die Kritik zurück und sprach von “Minderheitsmeinungen”, die Hansen vertrete.
Mein Kommentar:
Den Ausführungen des Generalstaatsanwalts Zepter widersprechen wir PIRATEN in Teilen sehr deutlich. Für uns ist unverständlich, wie grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass Bürger, die von einer Funkzellenabfrage betroffen sind, kein Interesse an einer Benachrichtigung über die sie betreffenden Maßnahme haben sollen. Die Ansicht, dass Betroffene von einer Ortung ihres Handys nicht benachrichtigt werden müssten, wenn sie lediglich ‘Alltagsgespräche’ führen, offenbart eine eigenwillige Auffassung von Privatsphäre.
Dasselbe gilt, wenn der Generalstaatsanwalt zu der Tatsache, dass nicht einmal jede 20. Funkzellenabfrage zu einer Verurteilung führt, anmerkt, dass er unbedingt vermeiden möchte, dass auch nur eine einzige Straftat unaufgeklärt bleibt. Auch wir PIRATEN wünschen uns die Aufklärung möglichst vieler Verbrechen – allerdings nicht um jeden Preis und mit effizienten Mitteln. Nicht-individualisierte Funkzellenabfragen gehören nicht dazu.
Da das ULD (Unabhängiges Datenschutzzentrum) noch Probleme bei der von uns geforderten individuellen Benachrichtigung Betroffener per SMS sieht, sollten Polizei und Staatsanwaltschaft einstweilen eine Internetplattform einrichten, die zumindest Zeit, Ort und Dauer durchgeführter Funkzellenabfragen öffentlich macht. So könnten Bürger auf eigenen Wunsch hin prüfen, ob und wie oft sie durch Funkzellenabfragen betroffen waren.
Da der Generalstaatsanwalt ablehnt, die vom ULD geforderten klaren Vorgaben zur Löschung der teils jahrelang vorgehaltenen Ortungsdaten und zur Benachrichtigung der massenhaft Betroffenen zu machen, ist Justizministerin Spoorendonk aufgefordert, für eine grundrechtsfreundliche Handhabung zu sorgen.
Hintergrund: Eine Große Anfrage der Piratenfraktion hat ergeben, dass nicht einmal jede 20. Funkzellenabfrage zu einer Verurteilung geführt hat. Die Überwachung von Handynutzern in Schleswig-Holstein mithilfe der sog. Funkzellenanfrage steigt sprunghaft an und hat sich innerhalb von zwei Jahren verdoppelt. Die Untersuchung durch das Landesdatenschutzzentrum ergab, dass die Prüfung der Verhältnismäßigkeit “oftmals nur unzureichend dokumentiert” wurde. Eine Benachrichtigung der Betroffenen erfolgte “in mehreren Fällen nicht”. Die Frage der Datenlöschung sei “in jedem Verfahren unterschiedlich, teilweise auch gar nicht”, beantwortet worden. Die Landesdatenschutzbeauftragte fordert nun “zentrale Vorgaben” durch den Generalstaatsanwalt, “um eine einheitliche Durchführung von Funkzellenabfragen nach grundrechtskonformen Maßstäben sicherzustellen.”
Anhang: Richtlinie zur Benachrichtigung von Funkzellenabfragen (Auszug)
Der betroffene Personenkreis ist grundsätzlich von der Maßnahme zu unterrichten, und zwar verbunden mit einer Belehrung über die Möglichkeiten nachträglichen Rechtsschutzes gem. § 101 Abs. 4 Satz 2 StPO i. V. m. § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO. Dies kann allerdings nur umgesetzt werden, wenn die betreffende Person bekannt ist. Nachforschungen sind hierüber nur anzustellen, wenn sie unter Berücksichtigung der Eingriffsintensität der Maßnahme, des Ermittlungsaufwandes sowie der daraus folgenden Beeinträchtigungen geboten sind (§ 101 Abs. 4 Satz 5 StPO). Abzuwägen sind dabei die Stärke des Eingriffs, der Ermittlungsaufwand und der Belastungsgrad für den Betroffenen. Hierüber hat die Staatsanwaltschaft zu befinden. Die Polizei hat von sich aus (zunächst) keine eigenen Identitätsnachforschungen zu betreiben.
Die Benachrichtigung muss unterbleiben, wenn überwiegende schutzwürdige Belange einer betroffenen Person dem entgegenstenen (§ 101 Abs. 4 Satz 3 StPO). Dabei ist zu fragen, ob es entgegenstehende Belange gibt (der Beschuldigte wird in der Regel kein Interesse daran haben, dass sonstige Personen von der Tatsache eines gegen ihn geführten Ermittlungsverfahrens erfahren), ob diese schutzwürdig und dem Benachrichtigungsinteresse überwiegen. Dies kann in Betracht kommen, wenn Verfahren eingestellt werden oder nur ein geringer Tatvorwurf verbleibt.
Bei Funkzellenabfragen kann eine Benachrichtigung zudem unterbleiben (§ 101 Abs. 4 Satz 4 StPO), wenn die Maßnahme sich nicht gegen den Beschuldigten richtet, die zu benachrichtigende Person nur unerheblich betroffen ist und mutmaßlich kein Interesse an der Benachrichtigung hat. Das wird vielfach anzunehmen sein, sofern die Benachrichtigung nicht ohnehin mangels Identitätsfeststellung (wegen des damit verbundenen Aufwandes und des sich dann vertiefenden Eingriffs in die Sphäre des Betroffenen) unterbleibt.
Sofern bekannt ist, dass Zeugnisverweigerungsberechtigte betroffen sind, ist regelmäßig von einer Benachrichtigungspflicht auszugehen.
Siehe auch:
Ergänzung vom 09.06.2017:
Mit Schreiben vom 12.07.2016 verweigert mir die Generalstaatsanwaltschaft eine Benachrichtigung – obwohl ich als Abgeordneter Zeugnisverweigerungsberechtigt bin und nach dem eigenen Rundschreiben (siehe oben) Zeugnisverweigerungsberechtigte regelmäßig zu benachrichtigen sind.
http://www.patrick-breyer.de/wp-content/uploads/2016/03/Weigerung-Benachrichtigung-FZA.pdf
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