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Manipulative EU-Meinungsumfrage taugt nicht zur Rechtfertigung der Chatkontrolle

Europaparlament Freiheit, Demokratie und Transparenz

Das EU-Innenministerium DG Home will mit einer Eurobarometer-Meinungsumfrage nachgewiesen haben, dass die weit überwiegende EU-Bevölkerung die totale Chatkontrolle will. Dumm nur, dass danach nicht oder nur irreführend gefragt wurde.

Von Chatkontrolle keine Rede

Befragt wurden Bürger ab 18 Jahren in vielen Varianten, ob Darstellungen sexuellen Missbrauchs im Netz automatisch erkannt werden sollen – mit überwältigender Zustimmung. Aus diesen Fragen ist aber nicht zu verstehen, dass private Nachrichten flächendeckend durchschnüffelt werden sollen.

Automatische Erkennung? Ja bitte.

Nur eine einzige Frage wurde zu “Nachrichten (z. B. E-Mail, Chat)” gestellt (Frage 9): Sollen Diensteanbieter “Material zum sexuellen Missbrauch von Kindern und Grooming-Konversationen in Nachrichten (z. B. E-Mail, Chat) erkennen, wenn auf einer bestimmten Plattform ein erhebliches Risiko des sexuellen Missbrauchs von Kindern besteht?

Der Wortlaut dieser Frage legt nahe, dass es möglich sei, genau und zuverlässig nur “Material über sexuellen Kindesmissbrauch und Grooming-Konversationen [zu] erkennen”, also ohne jegliche falsch-positive Meldungen. Da sich in Wahrheit aber bis zu 80 % der maschinell angezeigten privaten Nachrichten und Fotos als strafrechtlich irrelevant herausstellen, wurden die Befragten durch diese Fragestellung in die Irre geführt.

Als die Bürger im Rahmen einer anderen Umfrage nach Aufklärung über die Fehlerquote befragt wurden, ob sie wollen, dass ihre eigenen privaten Nachrichten verdachtslos nach verdächtigem Material durchsucht werden, war das Ergebnis genau das Gegenteil: 72 % der Bürger lehnten dies ab.

Manipulativ ist auch die Frage nach “einer bestimmten Plattform”, weil die drohende Chatkontrolle jedweden Dienst zu treffen droht.

Angstmache

In der Frage 7 nach Unterstützung der geplanten Chatkontrolle-Verordnung wurde behauptet: “Wenn diese [Verordnung] nicht bis August 2024 verabschiedet wird, wird die Aufdeckung von sexuellem Kindesmissbrauch in Online-Austauschen – ob freiwillig oder nicht – illegal.” Hier konnte kein Befragter verstehen, dass mit “Online-Austauschen” private Nachrichten gemeint sind. Außerdem wird verschwiegen, dass die “freiwillige Chatkontrolle” durch US-Konzerne schon heute grundrechtswidrig und illegal ist – Klagen sind anhängig.

Bevormundung Jugendlicher verschwiegen

Wichtige Teile des Vorschlags werden in der EU-Umfrage ganz verschwiegen, wie etwa der geplante Ausschluss von Jugendlichen unter 16 von der Installation der meisten Apps. Als wir Jugendliche dazu haben befragen lassen, war die Antwort eine überwältigende Ablehnung.

Fazit

Die Mutter der Chatkontrolle, Innenkommissarin “Big Sister” Johansson, setzt mit dieser manipulativen Umfrage ihren Informationskrieg gegen das digitale Briefgeheimnis fort. Es ist unsere Verantwortung, diese Regierungspropaganda mit unermüdlicher Aufklärung über die Wahrheit ins Off zu stellen. Jeder ist aufgerufen mitzuhelfen!

Ergänzung vom 27.09.2023: Das Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung kritisiert, das Eurobarometer verwische die Grenze zwischen Forschung und Propaganda. Die Verletzungen der Regeln guter Umfrageforschung beträfen die Nutzung von überkomplizierten, hypothetischen und wissensinadäquaten Fragen, die Vorgabe einseitig gepolter Antwortkategorien, Suggestivfragen, Kontexteffekte sowie die strategische Entfernung von Fragen.

Ergänzung vom 29.10.2023: Auf Nachfrage zu der konkreten Befragung zur Chatkontrolle erklärt Prof. Dr. Martin Höpner vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, “dass die Befragung eine politisch gerichtete Intention verfolgt. Das ergibt sich aus der Auswahl der Fragestellungen. Es werden ausschließlich “Sonnenschein-Fragen” gestellt, also Fragen, die der Natur der Sache Antworten der Befragten herausholen, die sich zur argumentativen Stützung der Kommissionspläne eignen. Wer würde schon der Aussage zustimmen, dass der Austausch von Material, das Kindesmissbrauch zeigt, unentdeckt bleiben soll (Q4-1)?

Hingegen finden sich keine Fragen, die etwaige Bedenken über die Schattenseiten der Pläne aus den Befragten hervorholen könnten. Hier wäre vieles denkbar, etwa die Gefahr einer Unzahl “falsch-positiver” Treffer, die Sie unten ansprechen, oder allgemein die Gefahr eines Vordringens staatlicher Überwachung in private Räume – zu all dem hätte man Fragen stellen können, wäre man wirklich an einem Gesamtbild interessiert.

Der ganze Sachverhalt steht im Spannungsfeld zwischen zwei legitimen Zielen, der Bekämpfung von Missbrauch und der von staatlicher Überwachung freien Kommunikation. Bei den Befragten wird aber in den ersten Fragen einseitig das Bewusstsein für eines der Ziele wachgerufen, das Bewusstsein für das andere Ziel aber nicht (siehe insbesondere Q1)“.

Siehe jetzt auch die Analyse Insights from the Flash Eurobarometer 532 on Online Child Abuse and Encryption