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„Lass dich überwachen“: EU-Rat will sich auf Chatkontrolle mit Zustimmung der Nutzer einigen [ergänzt]

Freiheit, Demokratie und Transparenz Pressemitteilungen

Aufgrund eines neuen Vorschlags der belgischen Innenministerin könnten die EU-Regierungen die vielkritisierte Chatkontrolle doch bereits im Juni beschließen. Das ergibt sich aus internen Informationen, die dem Europaabgeordneten der Piratenpartei und Schattenberichterstatter Dr. Patrick Breyer zugespielt wurden.

Konkret sollen nach dem neuesten Vorschlag Nutzer von Apps mit Kommunikationsfunktion per AGB oder Popup-Nachricht zustimmen müssen, dass alle verschickten Bilder und Videos automatisiert und verdachtslos gescannt und gegebenenfalls der EU und der Polizei gemeldet werden. Dazu sollen wohl auch Überwachungsfunktionen in bisher sicher Ende-zu-Ende verschlüsselte Messenger eingebaut werden, auch wenn die Belgier behaupten, die von ihnen vorgeschlagene „Uploadmoderation“ unterscheide sich vom „Client-Side Scanning“. Stimmt ein Nutzer der Chatkontrolle nicht zu, soll er den Chat weiter nutzen nutzen können, aber keine Bilder und Videos mehr versenden können. An EU und Polizei ausleiten sollen die Scanner-Algorithmen bekanntes Material und unbekannte Bilder und Videos, die von „künstlicher Intelligenz“ für potenziell verdächtig gehalten werden. Auf die Durchsuchung von Textnachrichten nach Hinweisen auf „Grooming“, die auch bisher kaum zum Einsatz kommt, soll genauso verzichtet werden wie auf das noch nie eingesetzte Scannen von Audiokommunikation.

Bei Vorstellung des Vorschlags am 8. Mai haben sich mehrere bisher kritische Regierungen wohlwollend und aufgeschlossen geäußert. Schon übermorgen (24. Mai) soll erneut über den „neuen Vorschlag“ beraten werden. Direkt nach der Europawahl treffen sich die EU-Innenminister und könnten die Chatkontrolle beschließen.

„Der geleakte Vorschlag zeigt, dass der extreme Ausgangsentwurf der EU-Kommission zur in der freien Welt einzigartigen Chatkontrolle im Kern unverändert beibehalten werden soll“, warnt der Europaabgeordnete und profilierteste Gegner der Chatkontrolle Dr. Patrick Breyer (Piratenpartei).„Der neueste Vorstoß zur Chatkontrolle erinnert an die Fernsehshow ‚Lass dich überwachen‘. Messengerdienste rein textbasiert zu nutzen, ist im 21. Jahrhundert keine ernsthafte Option. Und Auswüchse der Chatkontrolle zu streichen, die ohnehin in der Praxis keine Rolle spielen, ist eine Mogelpackung.

Es bleibt dabei: Millionen privater Chats und Privatfotos unbescholtener Bürger sollen mit unzuverlässiger Technik durchsucht und ausgeleitet werden, ohne dass die Betroffenen auch nur entfernt mit Kindesmissbrauch zu tun haben – das zerstört unser digitales Briefgeheimnis. So landen unsere Nacktfotos und Familienbilder bei Fremden, in deren Hände sie nicht gehören und bei denen sie nicht sicher sind. Trotz Lippenbekenntnissen zu Verschlüsselung soll mit Client-Side-Scanning bisher sichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung allgemein ausgehebelt werden, um unsere Smartphones zu Spionen umzufunktionieren – das zerstört sichere Verschlüsselung.

Mich alarmiert, dass bisher kritische EU-Regierungen die umverpackten Pläne loben und dadurch die bisherige Sperrminorität zu kippen droht. Die Bundesregierung schweigt und ist wegen der SPD-Innenministerin Faeser seit Monaten ‚nicht sprechfähig‘ – dementsprechend bildet sie auch keine Allianzen mit anderen kritischen Staaten. Nicht einmal ein schriftliches Gutachten des Rechtsdienstes des Rates zu diesem offensichtlichen Grundrechtsverstoß ist bisher angefordert worden. Wenn die EU-Regierungen tatsächlich mit dieser radikalen Position zur Chatkontrolle in die Trilogverhandlungen gehen sollten, droht das Parlament hinter verschlossenen Türen erfahrungsgemäß seine Ausgangsposition schrittweise aufzugeben und sich auf schlechte und gefährliche Kompromisse einzulassen, die unsere Sicherheit im Netz auf Spiel setzen.

Jetzt ist die Zeit für Privatsphäre und sichere Verschlüsselung auf die Barrikaden zu gehen!“

Breyers Infoportal und Dokumentenarchiv zur Chatkontrolle

Ergänzung vom 23.05.2024: netzpolitik.org hat das Protokoll, auf das sich diese Analyse stützt, inzwischen auch im Volltext veröffentlicht.