“Kinderschänder”: CDU-Polemik zur Vorratsdatenspeicherung auseinander genommen
Die polizeipolitische Sprecherin der CDU-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag schreibt heute in einer Pressemitteilung:
Gerade im Internet steige die Zahl schwerer und schwerster Straftaten massiv an. Breitner habe mit dem Beispiel der Kinderschänder zu Recht ein besonders gravierendes Problem aufgezeigt.
“Diese Straftaten können bislang nur sehr schwer verfolgt werden, weil kein Zugriff auf die Telekommunikationsdaten erlaubt ist.”
Ich habe ihr geantwortet:
zu Ihrer heutigen Pressemitteilung zur Vorratsdatenspeicherung ( http://www.ltsh.de/presseticker/2013-11/27/16-41-22-24f0/ ) habe ich folgende Fragen:
1. Sie schreiben: “Gerade im Internet steige die Zahl schwerer und schwerster Straftaten massiv an.”
Woraus schließen Sie dies? Wie definieren Sie schwere Internetdelikte? Die amtliche Kriminalstatistik unterscheidet zwischen schweren und leichten Delikten nicht. Das weitaus häufigste Internetdelikt ist Betrug, und bei Betrug lässt sich von “schweren und schwersten Straftaten” kaum sprechen.
Im Übrigen ist die Zahl der Internetdelikte nach Inkrafttreten der Vorratsdatenspeicherung um 10% gestiegen, heute ohne Vorratsdatenspeicherung aber nur um 3%. Letztlich ist ein Zusammenhang zwischen der Zahl der registrierten Delikte und Vorratsdatenspeicherung nicht ersichtlich, denn auf Vorratsdaten darf erst zugegriffen werden, wenn schon ein Tatverdacht besteht (und dieser statistisch erfasst ist).
2. Sie schreiben: “Breitner habe mit dem Beispiel der Kinderschänder zu Recht ein besonders gravierendes Problem aufgezeigt.”
Inwiefern ist sexueller Kindesmissbrauch ein “Beispiel” von den im vorangegangenen Satz genannten Straftaten im Internet? Was hat er mit Vorratsdatenspeicherung zu tun? Ich verweise insoweit auf meinen Beitrag “IP-Vorratsdatenspeicherung ist ungeeignet zum Schutz von Kindern“: http://www.daten-speicherung.de/?p=3205
Es ist auch kein Anstieg der Fälle sexuellen Missbrauchs zu verzeichnen, wie der Zusammenhang der Pressemitteilung suggeriert.
Ferner ist der von IM Breitner verwendete Begriff “Kinderschänder” demagogisch und verletzt zudem die Würde der Opfer, denn ihnen wird bescheinigt, es sei eine Schande, missbraucht worden zu sein. Der Begriff “Kinderschänder” wird von Beratungsstellen und Opfervertretern dementsprechend abgelehnt. Er hat im Übrigen eine historische Nähe zu dem Nazi-Begriff des “Rasseschänders” und wird noch heute von der NPD mit dem Slogan “Todesstrafe für Kinderschänder” missbraucht. Demokraten müssen sich von diesem Kampfbegriff klar distanzieren.
3. Sie schreiben: “Diese Straftaten können bislang nur sehr schwer verfolgt werden, weil kein Zugriff auf die Telekommunikationsdaten erlaubt ist.”
Dass “kein Zugriff auf die Telekommunikationsdaten erlaubt” sei, ist falsch. Ihnen ist sicherlich bekannt, dass der Zugriff auf Telekommunikationsdaten zur Aufklärung von erheblichen oder im Netz begangenen Straftaten selbstverständlich nach der Strafprozessordnung “erlaubt” ist? Es gibt keine Telekommunikationsdaten, auf die nicht zur Aufklärung von Straftaten zugegriffen werden dürfte.
Auch kann keine Rede davon sein, dass Internetdelikte nur sehr schwer aufgeklärt werden könnten. Fakt ist, dass die Aufklärungsquote bei Internetdelikten auch ohne Vorratsdatenspeicherung höher ist (ca. 60%) als bei sonstigen Straftaten (ca. 54%). Nach Inkrafttreten des verfassungswidrigen Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung ist die Aufklärungsquote übrigens gesunken.
Insgesamt hoffe ich, dass wir die Debatte um die drohende verdachtslose Vorratsdatenspeicherung trotz unterschiedlicher Meinung sachlich und korrekt führen können. Dieses Thema ist uns sehr wichtig.
Zu der NPD-Kampagne “Todesstrafe für Kinderschänder” siehe auch diese Broschüre der AWO Kinder- und Jugendhilfe.
Kommentare
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Nachdem das “Terrorismus”-Totschlagargument zur Rechtfertigung der Totalüberwachung von Millionen unschuldiger Bürger nicht mehr so einfach verfängt, versuchen sich die Überwachungsextremisten an dem gleichsam emotional aufgeladenen Begriff “Kinderschänder”.
Wollten diese machtgierigen und heuchlerischen Sicherheitsideologen wirklich Kindern helfen, dann würden die Milliardensummen nicht in die Überwachungs- und Waffenindustrie gesteckt, sondern in Bildung und Soziales.
Die meisten Fälle von Kindesmissbrauch geschehen im direkt familiären und sozialen Umfeld. Die Täter sind meist bekannt. Die elektronische Präventiv-Totalüberwachung von unbescholtenen Bürgern hat damit nichts zu tun.
Gerade in Milieus mit sozialen Problemen ist Kindesmissbrauch ein Thema. Diesen Kindern, Jugendlichen und Familien hilft man nicht durch Vorratsdatenspeicherung, sondern durch mehr Geld für bessere Bildungs- und Sozialsysteme. Mehr und bessere Lehrer, Sozialarbeiter, Schulpsychologen etc. würden den Betroffenen helfen können. Mit einem besseren Bildungs- und Sozialsystem könnte man sogar Kindesmissbrauch VERHINDERN.
Aber wir dürfen nicht vergessen:
Vorratsdatenspeicherungen und andere Überwachungsmaßnahmen haben für die politischen Machthaber einen nützlichen Nebeneffekt:
Macht und Kontrolle durch Wissen über das Volk und durch Verhaltensvorhersage des Volks.