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Internet-Vorratsdatenspeicherung: Zerstörung der anonymen Internetnutzung wäre ein Dammbruch, den es zu verhindern gilt!

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Der Europaabgeordnete Dr. Patrick Breyer (Piratenpartei) kämpft seit mehr als 15 Jahren gegen das Prinzip der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung, unter anderem als Beschwerdeführer der heute entschiedenen Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht. Breyer kommentiert die Entscheidung wie folgt:

“Die Botschaft der heutigen Verfassungsgerichtsentscheidung an Bundesüberwachungsministerin Faeser und Bundesjustizminister Buschmann ist klar: Auch der vieldiskutierte Zwang zur verdachtslosen Internet-Vorratsdatenspeicherung kann insgesamt grundrechtswidrig und unanwendbar sein. Einen Generalverdacht gegen alle Bürger und die Zerstörung ihres Rechts auf anonyme und sichere Internetnutzung wäre ein Dammbruch, den es zu verhindern gilt!

Deutschland klärt Internetdelikte heute mit einer überdurchschnittlichen Aufklärungsquote von 58% so erfolgreich auf wie seit jeher. 2009 ist mit Einführung einer Internet-Vorratsdatenspeicherung in Deutschland die Aufklärungsquote sogar gesunken, weil sie zur Nutzung von Anonymisierungsdiensten einlädt und die Strafverfolgung dadurch sogar erschwert. Im Ausland ist man mit wahlloser Internet-Vorratsdatenspeicherung nicht erfolgreicher als hierzulande. Das Gefaesere von einer angeblich kürzeren Speicherpraxis der Unternehmen als früher entbehrt daher jeder statistischen Signifikanz.

IP-Vorratsdatenspeicherung ist, wie wenn jede:r Bürger:in ein sichtbares Kennzeichen um den Hals gehängt bekäme und dieses auf Schritt und Tritt notiert würde. Niemand würde sich eine solche Totalerfassung des täglichen Lebens gefallen lassen. IP-Vorratsdatenspeicherung würde jeden Internetnutzer unter Generalverdacht stellen und die Internetnutzung der gesamten Bevölkerung, die unsere intimsten Vorlieben und Schwächen abbildet, nachvollziehbar machen. Eine so totale Erfassung würde Kriminalitätsvorbeugung durch anonyme Beratung und Seelsorge, Opferhilfe durch anonyme Selbsthilfeforen und auch die freie Presse gefährden, die auf anonyme Informanten angewiesen ist. 99,99 Prozent dieser Daten wären völlig nutzlos, da sie Bürger:innen betreffen, die nie auch nur in den Verdacht einer Straftat kommen.

Ich unterstütze die anlassbezogene Quick-Freeze-Lösung und die Login-Falle. Ich kann nur mit dem Kopf schütteln, wenn ich sehe, wie Bundesüberwachungsministerin Faeser versucht, die klare Absage an anlasslose Vorratsdatenspeicherung im Koalitionsvertrag rückwirkend zu verdrehen.”

Dass eine IP-Vorratsdatenspeicherung zum Kinderschutz nötig wäre, hatte Breyer bereits aus Anlass des EuGH-Urteils widerlegt.

Gegen die Vorratsdatenspeicherung nach Karlsruhe gezogen waren Digitalcourage, der AK Vorrat und 23 betroffene prominente Verbände, Künstlerinnen, Journalisten, Anwältinnen und Ärzte. Unterstützt wird die Klage außerdem von Juli Zeh, Marc-Uwe Kling, ver.di-Chef Frank Bsirske, Friedhelm Hengsbach, Petra Pau, drei Bundesvorständen des Deutschen Journalistenverbands, Michael Kellner, Albrecht Ude, Halina Wawzyniak und Silke Lüder (vollständige Liste).

In Anbetracht des EuGH-Urteils zur Vorratsdatenspeicherung aus dem letzten Jahr und der Unanwendbarkeit EU-rechtswidriger Gesetze sieht das Bundesverfassungsgericht aktuell kein Bedürfnis für die Verfassungsbeschwerde aus dem Jahr 2016 mehr. Dass die Beschwerdeführer dazu hätten Stellung nehmen sollen, kam für diese überraschend und ohne vorhergehenden Hinweis.

Von der heutigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bleibt der laufende Rechtsstreit vor dem Bundesverwaltungsgericht unberührt. Die Regelungen des Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung, die gegen die EU-Grundrechtecharta verstoßen, dürfen in Deutschland nicht angewendet werden.

Eine 2022 veröffentlichte Meinungsumfrage[6] hatte ergeben, dass 51% der Befragten in Deutschland eine verdachtslose Vorratsdatenspeicherung ablehnen, während nur 31% dafür und 19% unentschieden sind. Fast die Hälfte der Befragten in Deutschland (45%) würde auf Beratung durch einen Eheberater, einen Psychotherapeuten oder eine Entzugsklinik per Telefon, Handy oder E-Mail verzichten, wenn sie wüssten, dass ihr Kontakt registriert wird.

Basiswissen zum Thema Vorratsdatenspeicherung

Pressemitteilung von Digitalcourage: Bundesverfassungsgericht bestätigt: Vorratsdatenspeicherung unzulässig

Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts

Ergänzung: Weitere drei Verfassungsbeschwerden gegen die Vorratsdatenspeicherung bleiben anhängig, vermutlich die Verfassungsbeschwerde von Prof. Dr. Heinrich Amadeus Wolff für FDP-Politiker (Az. 1 BvR 229/16), die Verfassungsbeschwerde von Prof. Dr. Indra Spiecker geb. Döhmann für Grünen-Politiker (Az. 1 BvR 2023/16) und die Verfassungsbeschwerde der Kanzlei Müller Müller Rössner für 22 Beschwerdeführer, darunter der Landesverband Berlin-Brandenburg des Deutschen Journalisten-Verbands (Az. 1 BvR 3156/15).