EU-Parlament will politische Überwachungswerbung verbieten
Das Europäische Parlament hat heute mit großer Mehrheit ein Verhandlungsmandat für eine Verordnung angenommen, mit dem die Auswertung personenbezogener Daten für gezielte politische Werbebotschaften stark eingeschränkt werden soll. Nur persönliche Informationen, die von den Bürger:innen mit ihrer Zustimmung ausdrücklich für diesen Zweck zur Verfügung gestellt werden, sollen für gezielte politische Werbung verwendet werden dürfen, wobei die Verwendung von verhaltensbezogenen und abgeleiteten Informationen (behavioral/inferred advertising) etwa über Charakter und Schwächen von Internetnutzern ausgeschlossen wird (“Überwachungswerbung”).
Dr. Patrick Breyer, Abgeordneter der Piratenpartei im Europäischen Parlament und Mitverhandler im LIBE-Ausschuss, kommentiert:
“Heute ist ein guter Tag für die Demokratie: Das Europäische Parlament hat sich mit breiter Mehrheit hinter das Ziel gestellt, politische Überwachungswerbung im Internet zu stoppen. Wir wollen unsere Demokratie vor Manipulation schützen, ohne unbezahlte politische Meinungsäußerungen einzuschränken. Aus den Kampagnen von Donald Trump und dem Brexit haben wir gelernt, dass man einen Wähler sehr effektiv und unbewusst manipulieren kann, wenn man weiß, welche Botschaft bei ihm ankommt. Das Mandat zum Verbot politischer Überwachungswerbung ist ein großer Verhandlungserfolg für uns Piraten.
Auf der anderen Seite will eine unheilige Allianz aus EU-Kommission, EU-Regierungen und Big Tech-Industrie die digitale Manipulation von Wahlen und Volksabstimmungen unvermindert weiter zulassen. Antidemokratische und antieuropäische Kräfte könnten unverändert mithilfe von Überwachungswerbung weiterhin Hassbotschaften und Lügen gezielt bei denjenigen Wählerinnen und Wählern platzieren, die dafür empfänglich sind, und so unsere Demokratie zersetzen. Wir erleben hier eine toxische Mischung aus dem kurzsichtigen Eigeninteresse der Mächtigen an der Nutzung von Überwachungswerbung und den Profitinteressen von Big Tech. Wir werden dafür kämpfen, dass sie sich damit nicht durchsetzen und dass unser Privatleben und unsere Demokratie geschützt werden.”
Im Einzelnen sind einige der Erfolge, für die sich Breyer in den Verhandlungen erfolgreich eingesetzt hat:
- Die Verwendung personenbezogener Daten zur gezielten Einblendung politischer Werbebotschaften im Netz soll auf Daten beschränkt werden, die von den Bürgern mit ihrer Zustimmung ausdrücklich für diesen Zweck zur Verfügung gestellt werden, wobei die Verwendung von verhaltensbezogenen und abgeleiteten Informationen über die Bürger:innen (“Überwachungswerbung”) ausgeschlossen wird. Die Verweigerung der Einwilligung soll nicht komplizierter sein dürfen als die Erteilung der Einwilligung. Die “Do not track”-Einstellung im Browser des Nutzers sollte ohne lästige Nachfragen respektiert werden. Nutzer:innen, die ihre Zustimmung verweigern, sollen dennoch Zugang zu den Online-Plattformen haben.
- Den Plattformen soll untersagt werden, undurchsichtige Algorithmen für die Auslieferung von Werbung zu verwenden; ihnen wäre nur erlaubt, die Empfänger nach dem Zufallsprinzip aus all denjenigen Nutzern auszuwählen, welchen den vom Auftraggeber gewählten Targeting-Parametern entsprechen.
- In den 60 Tagen vor einer Wahl oder einem Referendum dürfen unterschiedliche politische Botschaften nur auf der Grundlage der Sprache eines Bürgers und seines Wahlkreises angezeigt werden, um eine Zersplitterung der öffentlichen Debatte und widersprüchliche und unehrliche politische Botschaften zu vermeiden.
- Die gezielte Anzeige politischer Werbung aufgrund der Nationalität oder ethnischen Herkunft, politischen Meinung, religiösen Überzeugung, Gesundheitszustand oder sexuellen Orientierung einer Person soll sowohl offline als auch online verboten werden.
- Sollte eine Datenschutzbehörde wie die irische Datenschutzbehörde die Vorschriften gegenüber großen Online-Plattformen nicht durchsetzen, könnte der Europäische Datenschutzausschuss diese Aufgabe übernehmen. In Fällen illegaler politischer Werbung soll er nicht nur finanzielle Sanktionen verhängen können, sondern auch die Schaltung von Anzeigen durch Werbetreibende, die schwerwiegend und systematisch gegen die Vorschriften verstoßen haben, vorübergehend aussetzen können. Damit wird sichergestellt, dass wohlhabendere Sponsoren die Kosten für finanzielle Sanktionen nicht einfach in ihr Budget einkalkulieren können.
- Je nach Auslegung kann es sein, dass die neuen Regeln für Werbekampagnen per Brief, E-Mail oder Textnachrichten nicht gelten. Dieses mögliche Schlupfloch wird hoffentlich in den Trilog-Verhandlungen noch geschlossen.
- Unbezahlte, selbst gepostete Inhalte sind von den geplanten Regelungen ausgenommen. Algorithmen zur Empfehlung unbezahlter Inhalte sind nicht betroffen.
Nachdem das Europäische Parlament nun seinen Standpunkt zu politischer Werbung festgelegt hat, werden die Verhandlungen mit dem Rat beginnen.