EU-Bürger*innen gegen ausländische Anti-Terror-Internetzensurbehörden
Ein Großteil der EU-Bürger*innen spricht sich gegen EU-Pläne zur länderübergreifenden Anti-Terror-Internetzensur aus. Dies hat eine Meinungsumfrage von YouGov unter 10.214 Bürger*innen aus 10 EU-Ländern ergeben.
Nur 30% der Befragten unterstützen die Pläne von EU-Kommission und EU-Regierungen einschließlich der Bundesregierung, Internetveröffentlichungen in ihrem Land künftig von Behörden in allen 27 EU-Staaten auf “terroristische Inhalte” überprüfen und gegebenenfalls löschen zu lassen. Dagegen fordern 51% der Befragten, über die Zulässigkeit von Internetveröffentlichungen in ihrem Land sollen nur Behörden oder Gerichte ihres eigenen Landes entscheiden. Dies versucht das Europäische Parlament in den laufenden Verhandlungen durchzusetzen.
Kritiker befürchten, dass ausländische Regierungen wie in Ungarn hierzulande völlig legal veröffentlichte unliebsame Inhalte als “Terrorismus” einordnen und löschen lassen könnten. Jedes EU-Land verwendet seine eigene Liste “terroristischer Organisationen”. So betrachtet Spanien die katalonische Unabhängigkeitsbewegung in Teilen [ergänzt am 08.09.2020] als Terrorismus. 2019 forderten französische Behörden die Löschung hunderter Internetseiten, die mit Terrorismus nichts zu tun hatten, darunter Cartoons, wissenschaftliche Veröffentlichungen, Regierungsveröffentlichungen und Informationen zu Veganismus.
Die Verhandlungen über die geplante EU-Verordnung zur Verhinderung terroristischer Inhalte im Netz
Aktuell verhandelt die EU über eine Verordnung, mit der die Verbreitung terroristischer Inhalte im Internet verhindert werden soll – und das, wenn es nach EU-Kommission und EU-Regierungen geht, mit Uploadfiltern und grenzüberschreitenden Schnell-Löschanordnungen. Auch nachdem der französische Verfassungsgerichtshof ein ähnliches Gesetz zur Schnell-Löschung terroristischer Inhalte innerhalb einer Stunde ab Erhalt einer polizeilichen Löschanordnung für verfassungswidrig erklärt hat, halten die schwedische EU-Innenkommissarin Johansson und die deutsche Ratspräsidentschaft unter Führung des Bundesinnenministeriums an den vergleichbaren EU-Plänen fest. Um ein allgemeines Meinungsbild der EU Bürger einzuholen, hat der Europaabgeordnete Patrick Breyer (Piratenpartei, Fraktion Grüne/EFA) die repräsentative Befragung in Deutschland, Österreich, Schweden, Polen, Spanien, Frankreich, den Niederlanden, Italien, Irland und Tschechien in Auftrag gegeben.
Mehrheit gegen Einsatz von Anti-Terror-Uploadfiltern
Nur 38% der Befragten unterstützen auch das weitere Vorhaben von EU-Kommission und EU-Regierungen, zur Verhinderung der Veröffentlichung “terroristischer Inhalte” den Einsatz maschinengesteuerter Uploadfilter vorzuschreiben. Die meisten Bürger*innen fordern stattdessen eine Einzelfallprüfung durch öffentliche Behörden oder lehnen eine Löschung “terroristischer Inhalte” aus dem Netz komplett ab (59%).
Zwar ist eine automatisierte Löschung mit Uploadfiltern schneller und weniger arbeitsaufwändig als eine Bewertung jedes Einzelfalls durch staatliche Stellen, aber eine zuverlässige Unterscheidung von Terrorpropaganda und rechtmäßigen Inhalten wie Presseberichten über Terrorismus, wissenschaftlichen Analysen oder Kritik an Terrorismus vermögen sie nicht vorzunehmen. Sie unterdrücken daher immer wieder auch legale Veröffentlichungen, was Pressefreiheit, Kunstfreiheit, Wissenschaftsfreiheit und Meinungsfreiheit gefährdet. Je nach Kontext kann beispielsweise das Foto eines Anschlags für Propagandazwecke oder zur legitimen Berichterstattung durch Nachrichtenmedien verwendet werden. Selbst Youtube-Betreiber Google meldet die irrtümliche Löschung einer Parlamentsdebatte über Folter sowie von Aktivistenvideos über Kriegsverbrechen in Syrien durch seine Filteralgorithmen.
“In Anbetracht des jüngsten Gerichtsurteils und der öffentlichen Meinung müssen die EU-Regierungen ihr Beharren auf ausländischen Löschanordnungen und Upload-Filterpflichten endlich aufgeben”, fordert der Europaabgeordnete Patrick Breyer. “Terroristische Online-Propaganda sollte wirksam bekämpft werden, ohne jedoch die digitale Wirtschaft übermäßig zu belasten oder gar Grundrechte zu opfern. Wir müssen uns gegen eine Internet-Zensur nach chinesischem Vorbild zur Wehr setzen”, so Breyer.
Informationen zum Verhandlungsstand: https://www.patrick-breyer.de/?p=590542
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