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EU-Anti-Verschlüsselungs-Expertengruppe will Überwachungszugang by Design

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EU-Anti-Verschlüsselungs-Expertengruppe will Überwachungszugang by Design

Die EU hat ein Dokument über die Pläne der Kommission für eine Expertengruppe veröffentlicht, die Ende-zu Ende-Verschlüsselung und Anonymität durch einen generellen Zugang für Ermittlungsbehörden ersetzen soll (sog. „Going Dark“-Programm).

Das »Security by Design«-Konzept soll volle Überwachungsmöglichkeiten für Ermittlungsbehörden in der Gesetzgebung und bei technischen Standards sicherstellen.

Der Europaabgeordnete Dr. Patrick Breyer (Piratenpartei / Greens/EFA) kommentiert:

„Ich fordere die EU-Kommission auf, diese Anti-Verschlüsselungs- und Anti-Anonymitäts-Arbeitsgruppe sofort zu stoppen! Dies ist ein Angriff auf alles, was uns online sicher macht. Das Recht auf Verschlüsselung schützt Whistleblower, Menschenrechtsverteidiger, Demokratieaktivisten und eigentlich alle Bürger vor Strafverfolgung und Nachteilen. Das Recht auf Anonymität gewährleistet die freie Meinungsäußerung und den unbefangenen Informationszugang; es schützt uns vor Datenverlust, Identitätsdiebstahl und Stalking.

„Going Dark“ ist eine Angststörung, unter der der Sicherheitskomplex leidet. In Wahrheit hatten die Strafverfolgungsbehörden noch nie einen so weitreichenden Zugang zu unserem Privatleben und unserer Persönlichkeit wie im digitalen Zeitalter. Wir haben noch nie so lange und sicher gelebt wie heute.

Beim Thema anlasslose Vorratsdatenspeicherung brauchen wir dringend entschlossenes politisches Handeln, um höchste Gerichtsurteile durchzusetzen, die die vertrauliche Kommunikation von Millionen von Bürgerinnen und Bürgern schützen. Insbesondere muss unsere Identität im Internet (IP-Adressen) grundsätzlich privat sein, weswegen ich hier eine klare rote Linie gezogen habe.“

»Security by Design«: Überwachung als politischer und technischer Standard

Laut dem Dokument soll die Expertengruppe dazu beitragen, die Perspektive von Ermittlungsbehörden in allen relevanten politischen und gesetzgeberischen Verfahren und Handlungen zu integrieren. Diese Konzept soll in vollem Umfang erforscht werden, wobei die Expertengruppe herausfinden soll, wie der Ansatz zu einer Standardanforderung in der Entwicklung neuer Technologien werden kann, weswegen über eine intensivere Präsenz von Vertretern von Strafverfolgungsbehörden in relevanten internationalen Standardisierungsgremien nachgedacht wird. Genannt werden das Europäische Komitee für Normung (CEN/CENELEC), das Europäisches Institut für Telekommunikationsnormen (ETSI) und das 3rd Generation Partnership Project (3GPP) – einer weltweiten Kooperation von Standardisierungsgremien im Bereich Mobilfunk. Als relevante Technologien nennt das Eckpunktepapier Künstliche Intelligenz, Quantencomputer, 5G, das Internet der Dinge und Cryptowährungen.

Fokus auf: Verschlüsselung, Vorratsdatenspeicherung, VPN, Roaming uvm.

Als dringlichste Arbeitsfelder der Expertengruppe nennt das Dokument: Verschlüsselung, genauer den Zugang zu aufbewahrten Daten und zu digitaler Kommunikation in Klartext, die Vorratsdatenspeicherung, den Zugang zu Bewegungsdaten und Roaming-Daten sowie Anonymisierung inklusive VPN und Darknet. Geleitet wird die Gruppe von der Generaldirektion Migration und Inneres (HOME) in der Europäischen Kommission und von Vertretern des Mitgliedslandes, dass die Ratspräsidentschaft inne hat – von Juli bis Dezember 2023 wird das Spanien sein. Die Gruppe wird aus hochrangigen Vertreter:innen der EU-Staaten, der Kommission sowie aus relevanten EU-Institutionen und Agenturen bestehen. Vertreter:innen aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft werden lediglich punktuell involviert.

Studie: Polizeiarbeit braucht keinen totalen Zugang

Während die Arbeit der Expertengruppe von der sogenannten »Going Dark«-Annahme geleitet wird, die davon ausgeht, dass Kriminalität in der digitalen Welt unentdeckt bleiben, kommt eine Studie zur Rolle von Verschlüsselung bei Ermittlungen zu einem anderen Ergebnis. Diese Studie zeigt, dass die Verschlüsselung bei strafrechtlichen Ermittlungen eine wichtige Rolle spielt. Einerseits behindert die Verschlüsselung die strafrechtlichen Ermittlungen, andererseits spielt sie auch eine praktische Rolle bei der Verbesserung der Ermittlungen. Die Studie kommt zu dem Schluss:

„Die Polizei hatte schon immer mit wichtigen Informationen über Verbrechen zu tun, die so gespeichert sind, dass sie keinen direkten Zugang hat. Wir nennen diesen Speicher das menschliche Gehirn. Da die Polizei diesen Speicher nicht lesen kann (sie hat keinen Schlüssel) und der Verbrecher vielleicht lieber schweigt, muss sich die Polizei alle möglichen Wege ausdenken, um diese Sicherheit zu umgehen und/oder den Schlüssel zu bekommen und/oder jemanden auszutricksen, damit er die Informationen preisgibt. Jetzt haben wir einen Computer, der wie der Kriminelle sagt: Du kommst nicht rein und ich werde nichts sagen. Dann müssen Sie als Polizei über Alternativen nachdenken, um damit umzugehen. Das hat die Polizei schon immer getan.“