Dissertation: Section Control ist verfassungswidrig
Brigitte Kenzel bewertet in ihrer Dissertation aus dem Jahr 2013 (“Die automatische Kennzeichenfahndung“) das umstrittene Section Control-Verfahren zur Geschwindigkeitskontrolle als verfassungswidrig (S. 227 f.):
In der Schweiz werden AKLS [automatische Kennzeichen-Lesesysteme] vereinzelt auch im Rahmen von Geschwindigkeitskontrollen eingesetzt. Fraglich ist, ob ein derartiges Vorgehen mit dem deutschen Verfassungsrecht vereinbar wäre. Die Maßnahme verfolgt – wie alle Geschwindigkeitskontrollen – den Zweck, Personen, die sich nicht an die vorgegebene Geschwindigkeitsbegrenzung halten, für ihr Fehlverhalten zu bestrafen und dadurch (mittelbar) die Sicherheit des Straßenverkehrs zu gewährleisten. Dabei handelt es sich um einen durchaus legitimen Zweck, zu dessen Erreichung ein entsprechender Einsatz von AKLS auch geeignet ist. Allerdings stellt sich die Frage, ob die Maßnahme auch erforderlich ist. Insbesondere müsste ein Mehrwert gegenüber konventionellen Geschwindigkeitskontrollen, die ausschließlich Daten von denjenigen Fahrzeugen erfassen, die tatsächlich zu schnell gefahren sind, und damit in die Grundrechte deutlich weniger Personen eingreifen, gegeben sein. Ein solcher ist jedoch nicht ersichtlich. Insbesondere besteht auf einer längeren Distanz noch eher als bei einer punktuellen Messung die Möglichkeit, die eigene Durchschnittsgeschwindigkeit an das Tempolimit anzupassen und daher nicht wegen eines Verstoßes gegen die Geschwindigkeitsbegrenzung registriert zu werden. Mangels ersichtlichen Vorteils gegenüber der klassischen, punktuellen Vorgehensweise ist die eingriffsintensivere Kennzeichenerfassung zur Geschwindigkeitskontrolle nicht erforderlich.
Zudem ist zweifelhaft, ob die Maßnahme – selbst wenn sie erforderlich wäre – auch dem Verhältnismäßigkeitsprinzip im engeren Sinn genügen würde. Bei der Überschreitung der vorgegebenen Höchstgeschwindigkeit handelt es sich regelmäßig nur um eine Ordnungswidrigkeit. Die Schwelle zum Strafrecht wird also gerade nicht überschritten und der Verstoß als weniger schwerwiegend eingestuft. Zu dessen Aufdeckung und Verfolgung personenbezogene Daten über eine Vielzahl von Straßenverkehrsteilnehmern zu erheben und zu verarbeiten, ist nicht angemessen.
Die automatische Kennzeichenerfassung zur Geschwindigkeitskontrolle einzusetzen, ist daher nicht mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip vereinbar und somit verfassungswidrig.
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