Digitale-Dienste-Gesetz: Rechtsausschuss greift Datenschutz und Meinungsfreiheit im Internet an
Der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments (JURI) hat gestern abend seine Stellungnahme zum Digitale-Dienste-Gesetz (DSA) angenommen. Der konservative französische Berichterstatter Geoffroy Didier setzte sich mit 15:9 Stimmen durch.
Zum Wohl der Bürger:innen fordert der Ausschuss ein Recht auf anonyme Nutzung und Bezahlung digitaler Dienste sowie ein Verbot von verhaltensbezogenem Tracking und Werbung (AM411). Freiwillige Initiativuntersuchungen von Online-Plattformen dürfen nicht zu Ex-ante-Kontrollmaßnahmen auf der Grundlage von Uploadfiltern führen (Art. 6). Es soll generell keine Verpflichtung für Unternehmen geben, die umstrittenen Uploadfilter zu verwenden (Art. 7), da solche Algorithmen Schwierigkeiten haben, die Einzelheiten des Kontextes und der Bedeutung menschlicher Kommunikation zu verstehen. Dies ist jedoch notwendig, um zu beurteilen, ob Inhalte gegen das Gesetz oder die Nutzungsbedingungen verstoßen. Der DSA soll nach dem Willen des Rechtsausschusses das Angebot von Ende-zu-Ende verschlüsselten Diensten nicht verhindern (Art. 7). Behörden sollen das Recht erhalten, die Wiederherstellung legaler Inhalten, die von Plattformen entfernt wurden, anzuordnen (Art. 8a). Manipulative „Dark Patterns“ sollen verboten werden (Art. 13a).
Der Europaabgeordnete Dr. Patrick Breyer (Piratenpartei), Schattenberichterstatter der Grünen/EFA-Fraktion, warnt jedoch vor anderen Aspekten der Stellungnahme:
„Die Vorschläge bedrohen die Vertraulichkeit privater Korrespondenz, fördern fehleranfällige Ex-ante-Uploadfilter, führen übermäßig kurze Fristen für die Entfernung von Inhalten ein, setzen überzogene nationale Zensurgesetze (z. B. in Polen oder Ungarn) in der gesamten EU durch, machen aus ‚vertrauenswürdigen Flaggern‘ ‚vertrauenswürdige Zensoren‘ und vieles mehr. Ich glaube nicht, dass sich alle meine Kolleg:innen im Rechtsausschuss der Tragweite dieser Maßnahmen bewusst sind. Sie sind das Ergebnis massiver Lobbyarbeit der Contentindustrie und Rechteinhaber.”
Angriff auf die Vertraulichkeit von Direktnachrichten
Im Einzelnen würde der vorgeschlagene Artikel 1 private Kommunikations-/Messaging-Dienste in den Geltungsbereich des DSA aufnehmen. Dies bedroht das Briefgeheimnis und sichere Verschlüsselung. Die Verpflichtung der Anbieter von Nachrichtendiensten, den Inhalt privater Nachrichten zu überprüfen und zu entfernen (Artikel 8, 14) würde eine sichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung verhindern, auf die sich Bürger:innen, Unternehmen und Regierungen verlassen. Der Vorschlag des Ausschusses, die private Nutzung auszunehmen, funktioniert nicht, da es für den Dienst unmöglich ist, den Zweck eines Kontos oder einer Nachricht zu erkennen, ohne die Korrespondenz zu lesen und die Verschlüsselung zu knacken.
Gefahr des “Overblocking”
Darüber hinaus würde der vorgeschlagene Artikel 5 die Haftungsregelung grundlegend ändern, die Unternehmen belasten, das Overblocking legaler Inhalte begünstigen und die Grundrechte der Nutzer:innen gefährden:
– Abs. 1(b) würde fehleranfällige Uploadfilter vorschreiben, indem Anbieter verpflichtet werden, bestimmte Inhalte “dauerhaft” zu entfernen. Algorithmen können illegale Inhalte nicht zuverlässig identifizieren und führen derzeit routinemäßig zur Unterdrückung legaler Inhalte, einschließlich Medieninhalten. Wieder auftauchende Inhalte können in einem neuen Kontext, für einen neuen Zweck oder von einem anderen Autor gepostet durchaus legal sein.
– Abs. 1a würde unflexible und übermäßig kurze Fristen für die Entfernung von Inhalten vorschreiben, die teilweise sogar kürzer sind als sie für terroristische Inhalte gelten. Ohne die Zeit für eine ordnungsgemäße Prüfung müssten die Anbieter entweder illegale Inhalte durchwinken (“wir hatten keine Zeit, um festzustellen, ob es sich um illegale Inhalte handelt”) oder legale Inhalte zu Unrecht sperren (“wir nehmen sie vorsichtshalber vom Netz”). Dies stellt eine große Bedrohung für das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung dar.
Unterbietungswettlauf in Bezug auf die Meinungsfreiheit
Der vorgeschlagene Artikel 8 würde es einem Mitgliedstaat mit extremen nationalen Rechtsvorschriften ermöglichen, die Entfernung von Inhalten anzuordnen, die in einem anderen Mitgliedstaat legal veröffentlicht wurden. Dies würde zu einem Unterbietungswettlauf in Bezug auf die Meinungsfreiheit führen, sodass sich in der gesamten EU letztlich die repressivsten Gesetze durchsetzen würden. Auch die weltweite Durchsetzung des EU-Rechts durch Entfernung von Inhalten, die in Nicht-EU-Ländern legal veröffentlicht wurden, würde zu Vergeltungsmaßnahmen dieser Nicht-EU-Länder (z. B. Russland, China, Türkei) führen. Diese Länder dürften ihrerseits von EU-Anbietern verlangen, völlig legale und legitime Inhalte auf der Grundlage ihrer nationalen rechtsstaatswidrigen Zensurgesetze zu entfernen.
Fehleranfällige Uploadfilter
Der vorgeschlagene Artikel 14 würde eine strenge 72-Stunden-Frist für die Prüfung gemeldeter Inhalte einführen. Ohne die Zeit für eine ordnungsgemäße Prüfung müssten die Anbieter entweder illegale Inhalte durchwinken (“wir hatten keine Zeit, um feststellen zu können, dass es sich tatsächlich um illegale Inhalte handelt”) oder legale Inhalte zu Unrecht löschen (“wir nehmen sie sicherheitshalber herunter”).
Der Vorschlag würde Anbietern auch explizit erlauben, fehleranfällige Re-Uploadfilter zu verwenden, um das erneute Hochladen früher gelöschter Inhalten zu blockieren (“stay-down”). Algorithmen können illegale Inhalte jedoch nicht zuverlässig erkennen und führen immer wieder zur Unterdrückung legaler Inhalte, einschließlich Medienberichten wie zuletzt eines Monitor-Beitrags über Terrorismus. Erneut veröffentlichte Inhalte können in einem neuen Kontext, für einen neuen Zweck oder von einem anderen Autor veröffentlicht durchaus legal sein. Filteralgorithmen können dies nicht zuverlässig unterscheiden.
“Vertrauenswürdige Zensoren”
Art. 14a(2a) würde es privaten “vertrauenswürdigen Flaggern” wie Lobbyvereinigungen ermöglichen, Inhalte direkt entfernen oder sperren zu lassen, ohne dass die Plattform selbst noch einmal die Rechtmäßigkeit prüfen muss. Dies würde “vertrauenswürdige Flagger” in “vertrauenswürdige Zensoren” verwandeln und die Zugänglichkeit legaler Inhalte gefährden.
Art. 20 (3c) würde indirekt anonyme Konten abschaffen und die Identifizierung aller Nutzer:innen vorschreiben, um zu verhindern, dass gesperrte Nutzer:innen ein anderes Konto verwenden oder registrieren können. Unterschiedliche Online-Identitäten zu haben, ist für Aktivist:innen, Whistleblower:innen, Menschenrechtsverteidiger:innen, Kinder und viele andere, die ihre wahre Identität nicht preisgeben können, unerlässlich.
Ausblick
Die Empfehlungen des Rechtsausschusses werden im federführenden Binnenmarktausschuss (IMCO) erörtert, der den Text noch vor Jahresende fertig stellen will. Nächste Woche treffen sich die IMCO-Verhandlungsführer zur ersten Runde der Erörterung politisch kontroverser Fragen.
Überblicksseite zum Digitale-Dienste-Gesetz: https://www.patrick-breyer.de/dsa/
Kommentare
Die Meiningsfreiheit und das Postgeheimnis sind Pfeiler der Demokratie in Deutschland. Sie müssen nicht nur, in der Öffentlichkeit von Deutschland garantiert werden sondern auch im digitalen Netz, das in Deutschland existiert.
Das wissen die deutschen Politiker, die ins EU- Parlament gewählt wurden.
Warum will die EU diese Gesetze für Deutschland einschränken?
Ein Glück, das jemand von den Piraten im EU- Parlament aufpasst!