Deutsche Wirtschaftsminister wollen TTIP – Hier der Beschluss im Wortlaut
In der Öffentlichkeit breit diskutiert wurde ein einstimmiger Beschluss der Wirtschaftsminister – auch von Bündnis 90/Die Grünen (Hessen/Rheinland-Pfalz) – pro TTIP aus der letzten Woche. Rheinland-Pfalz dementiert schon wieder, dass sich dieser Beschluss für TTIP ausspreche. Sachsens Wirtschaftsminister versteht ihn hingegen durchaus so.
Als Abgeordneter der Piratenpartei bin ich der Transparenz verpflichtet. Damit sich jeder ein Bild machen kann, hier der (bisher unveröffentlichte) Beschluss im Wortlaut:
Beschluss der Wirtschaftsministerkonferenz am 17./18. Juni 2015 in Hamburg
Punkt 3.1 der Tagesordnung: Freihandel – Stand der Verhandlungen zu den Abkommen zwischen der EU sowie den USA und Kanada [TTIP, CETA]
1. Die transatlantischen Beziehungen basieren auf einem gemeinsamen Wertefundament und zeichnen sich durch besonders enge Bindungen in politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht aus. Die Wirtschaftsministerkonferenz misst der Partnerschaft zwischen Europa, den USA und Kanada eine hohe strategische Bedeutung bei. Es bleibt vorrangiges Ziel nationaler und europäischer Politik, die Partnerschaft dauerhaft zu erhalten und auszubauen.
2. Globale und regionale politische Umbrüche, wachsende sicherheitspolitische Risiken verbunden mit wirtschaftlichen Unsicherheiten machen eine noch engere Zusammenarbeit rechtstaatlicher Demokratien mit marktwirtschaftlichen Ordnungen unabdingbar. Nordamerika und Europa müssen weiter bemüht sein, gemeinsame Antworten auf die vielfältigen globalen Herausforderungen zu finden.
3. Freihandelsabkommen wie die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) und das Umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen EU-Kanada (CETA) sind wichtige Bausteine transatlantischer Partnerschaft. Insbesondere TTIP vermag als Basis noch engerer wirtschaftlicher Zusammenarbeit zu dienen. In diesem Kontext betrachtet die Wirtschaftsministerkonferenz TTIP als Ausgangspunkt eines sich permanent fortentwickelnden Prozesses, der – vergleichbar mit der Errichtung des Europäischen Binnenmarktes – Mechanismen der Weiterentwicklung und Modifikation vorsehen muss.
4. TTIP wird voraussichtlich die größte Freihandelszone der Welt schaffen und den transatlantischen Handel mit Waren und Dienstleistungen substantiell intensivieren. Der Abbau von Handelshemmnissen liegt im Interesse der exportorientierten deutschen und europäischen Wirtschaft, für die die USA bereits heute einer der wichtigsten Handelspartner ist.
5. Neben dem Abbau von tarifären Hemmnissen ist vor allem eine bessere Abstimmung auf regulatorischer, technischer Ebene von großer Bedeutung – insbesondere für den deutschen Mittelstand.
6. In der Vereinbarung gemeinsamer Standards liegt großes Potential. Die Wirtschaftsministerkonferenz wird sich weiterhin dafür einsetzen, dass hohe europäische Standards gewahrt bleiben. Schutzniveaus, z. B. für Verbraucher, Umwelt, Gesundheit und öffentliche Daseinsvorsorge, dürfen dabei nicht zur Disposition stehen. Die Wirtschaftsministerkonferenz zeigt sich offen, wenn höhere amerikanische Schutzstandards Gegenstand der Vereinbarung werden. Zugleich begrüßt die Wirtschaftsministerkonferenz die Chance, durch TTIP nicht nur im bilateralen Verhältnis jeweils höhere Standards vereinbaren zu können, sondern auch global Maßstäbe zu setzen, die den Weg weisen für einen fairen globalen Wettbewerb. Dazu gehören auch jene Standards, die im Rahmen internationaler Organisationen, wie z. B. der Internationalen Arbeitsorganisation, vereinbart wurden.
7. Die Wirtschaftsministerkonferenz hält spezielle Investitionsschutzvorschriften und Streitbeilegungsmechanismen im Verhältnis Investor und Staat zwischen der EU und den USA für verzichtbar. Sie begrüßt den Vorschlag des Bundeswirtschaftsministers sowie von weiteren fünf europäischen Handelsministern, an Stelle eines Schiedsgerichtes einen ständigen europäisch-amerikanischen Handelsgerichtshof zu schaffen, der sich aus unabhängigen Richtern zusammensetzt, öffentlich tagt und eine Berufungsmöglichkeit zulässt.
8. Die Wirtschaftsministerkonferenz begrüßt, dass die Europäische Kommission eine bessere Transparenz herstellt und zusätzliche Informationen über die Verhandlungen zur Verfügung stellt. Die Wirtschaftsministerkonferenz tritt auch weiterhin für eine intensivere Einbeziehung und Mitwirkung der Öffentlichkeit ein. Damit werden nicht nur demokratische Beteiligungsrechte verteidigt, sondern durch Aufklärung und Sachkenntnis eine höhere Akzeptanz in der Bevölkerung herbeigeführt.
9. Die Wirtschaftsministerkonferenz wird ihren Beitrag zur Information und Beteiligung der Öffentlichkeit leisten und im Sinne der in den Ziffern 1 bis 8 in den beschriebenen Positionen über TTIP und CETA informieren.
Mein Kommentar:
- Wer uns mit der NSA systematisch ausspioniert, darf kein Verhandlungspartner sein.
- Der internationale Handel muss auch international geregelt werden. Nur weil die USA und die EU in der Welthandelsrunde aus guten Gründen mit ihrer Agenda nicht durchkommen, sollten wir es ihnen nicht durchgehen lassen, ihre Interessen mit einem Flickenteppich von Einzelverträgen weiterzuverfolgen und die Kritiker so zu isolieren.
- Die potenziellen Auswirkungen einer “Negativliste” sind unüberschaubar.
- Egal, welche Schutzstandards bei den Geheimverhandlungen herauskommen: Die Entscheidung über Gesundheits-, Verbraucher- und Datenschutz gehört in die Öffentlichkeit und in unsere gewählten Parlamente, nicht in geheime internationale Verhandlungen. Selbst wo Schutzstandards nicht verwässert werden, würde uns ihre Festschreibung in Abkommen demokratische Spielräume für höhere Standards in der Zukunft nehmen.
Unsere Position zu TTIP: EU-US-Verhandlungen über Freihandelsabkommen stoppen
Unsere Position zu CETA: Investorenklagen verhindern, demokratisches Selbstbestimmungsrecht bewahren, transatlantisches Freihandelsabkommen CETA stoppen
Aufsatz zu den Auswirkungen von TTIP auf den Schutz unserer Daten: Abhören als Dienstleistung?
Kommentare
Egal, wie man zu TTIP steht und ob man überhaupt schon eine feste Meinung hat, erscheint mir Dein Kommentar doch leider ziemlich daneben zu sein:
“1. Wer uns mit der NSA systematisch ausspioniert, darf kein Verhandlungspartner sein.”
Das ist einfach platt und bedient in meinen Augen Ressentiments, die viel tiefer liegen.
Aber gut: Wer systematisch staatlich gefördert Wirtschaftsspionage betreibt, wie China es tut, dann vermutlich auch nicht. Und wie sieht es mit Russland aus? Verhandlungen mit einem Staat, der systematisch im Inneren Grundrechte außer Kraft setzt und nach außen aggressiv expansiv auftritt? Vermutlich auch nicht. Indien und seine Kastengesellschaft sind auch nicht das, wie ich mir einen idealen Partner vorstelle. Bei Licht betrachtet gibt es bei sehr vielen, wenn nicht allen potentiellen Vertragspartnern der EU Dinge mit Fug und Recht zu kritisieren. Und in der EU natürlich auch. Also: Keine Verhandlungen mit anderen Ländern mehr? Oder müssen wir zwischen richtig böse (offenbar USA) und weniger böse (die anderen?) unterscheiden? Maßgeblich ist dann wessen Einschätzung?
“2. Der internationale Handel muss auch international geregelt werden. Nur weil die USA und die EU in der Welthandelsrunde aus guten Gründen mit ihrer Agenda nicht durchkommen, sollten wir es ihnen nicht durchgehen lassen, ihre Interessen mit einem Flickenteppich von Einzelverträgen weiterzuverfolgen und die Kritiker so zu isolieren.”
Ein eigenartiges Verständnis von Welthandel und Vertragsfreiheit, das Du da an den Tag legst. Wenn zwei Staaten sich einigen können, wie sie den Handel zwischen sich organisieren wollen, dürfen sie das nicht, weil dritte und vierte nicht mitmachen wollen? Wer entscheidet denn dann, aber wann eine Freihandelszone zulässig ist? Oder ist das in Deinen Augen alles illegitim, solange die Welthandelsrunde insgesamt nicht vorankommt? Reicht dann also schon ein “Kritiker” für das Veto? Dir ist schon klar, dass auch “die Kritiker” alles andere als homogene Interessen vertreten und die “guten Gründe” daher zum Teil vollkommen gegenläufige Forderungen nach sich ziehen? Indien z.B. setzt ganz andere Kritikpunkte und Forderungen als die afrikanischen Staaten usw. Was also tun?
“3. Die potenziellen Auswirkungen einer “Negativliste” sind unüberschaubar. Egal, welche Schutzstandards bei den Geheimverhandlungen herauskommen: Die Entscheidung über Gesundheits-, Verbraucher- und Datenschutz gehört in die Öffentlichkeit und in unsere gewählten Parlamente, nicht in geheime internationale Verhandlungen. Selbst wo Schutzstandards nicht verwässert werden, würde uns ihre Festschreibung in Abkommen demokratische Spielräume für höhere Standards in der Zukunft nehmen.”
Ich stimme Dir zu, dass bei der Ausformulierung der Standards wie auch im gesamten Investitionsschutzkapitel große Vorsicht und Sorgfalt angesagt ist. Aber pauschal zu postulieren, “demokratische Spielräume für höhere Standards” würden genommen, ist ungefähr so sinnvoll wie die Aussage “Die Grundrechte im Grundgesetz nehmen uns demokratischen Spielraum”. Denn natürlich ist auch heute schon der Gestzgeber bei der rein national determinierten Festlegung von Standards nicht vollkommen frei, munter drauf los zu regulieren, ohne Rücksicht auf Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne zu nehmen. Wenn er das aber tut, kann er auch regulieren.
Das weißt Du eigentlich auch alles. Umso bedauerlicher, dass Du Dich für die populistische und reichlich unterkomplexe Darstellung der Problematik entscheidest.