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Comeback der Vorratsdatenspeicherung grundrechtswidrig: Ehemaliger EuGH-Richter verwirft Pläne der EU-Kommission

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Am 8. April 2014 erklärte der Europäische Gerichtshof die EU-Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung für nichtig, die die massenhafte Erfassung von Telefongesprächen und Standortdaten aller Bürger:innen vorsah. Acht Jahre später planen die EU-Kommission und EU-Regierungen dennoch die Beibehaltung oder Wiedereinführung der Methode. Auch in Deutschland ist die von der großen Koalition eingeführte Vorratsdatenspeicherung Gesetz und von Gerichten nur einstweilen ausgesetzt. In einem heute veröffentlichten Rechtsgutachten stellt der ehemalige EU-Richter Prof. Dr. iur. Vilenas Vadapalas fest, dass zwei der am weitesten verbreiteten Methoden der Vorratsdatenspeicherung “nicht mit der Rechtsprechung des EuGH und den Grundrechten vereinbar” sind:

Der Versuch Frankreichs und Dänemarks, die verdachtslose Vorratsspeicherung der Telefonverbindungs- und Standortdaten der gesamten Bevölkerung mit einer dauerhaften Bedrohung der nationalen Sicherheit zu rechtfertigen, wird als rechtswidrig verworfen. Auch die Pläne der EU-Kommission und Belgiens, die große Mehrheit der Bevölkerung durch eine weitreichende “geografisch gezielte Vorratsdatenspeicherung” zu erfassen, halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand.

“Das massenhafte Sammeln von Informationen über die alltägliche Kommunikation und die Bewegungen von Unverdächtigen stellt einen beispiellosen Angriff auf unser Recht auf Privatsphäre dar und ist die invasivste Methode der Massenüberwachung der eigenen Bevölkerung”, kommentiert Dr. Patrick Breyer, Bürgerrechtler, Abgeordneter der Piratenpartei im Europäischen Parlament und Auftraggeber des Rechtsgutachtens. “Die zur Rechtfertigung genannten Einzelfälle stehen in keinem Verhältnis zu dem Schaden, den diese Überwachungswaffe unserer Gesellschaft Umfragen zufolge zufügt. Die anhaltende Verletzung von Grundrechten durch Beibehaltung illegaler Vorratdatenspeicherung, der regierungsseitige Druck auf Richter und das Ignorieren der Fakten ist ein Angriff auf den Rechtsstaat, den wir stoppen müssen!”

“Gezielte Vorratsdatenspeicherung”: Pläne verletzen die Rechte der Bürgerinnen und Bürger

Ein geheimes Non-Paper der EU-Kommission vom 10. Juni 2021 schlägt den Regierungen der Mitgliedstaaten eine Reihe von Optionen vor, um eine Vorratsdatenspeicherung EU-weit wieder einzuführen – obwohl der deutsche Koalitionsvertrag einer anlasslosen Vorratsdatenspeicherung eine Absage erteilt. Mehrere dieser Vorschläge sind exzessiv und EU-rechtswidrig, erklärt das Rechtsgutachten. Die Vorschläge zum “geografischen Targeting … können dazu führen, dass Anbietern ungerechtfertigte rechtliche Verpflichtungen auferlegt werden, Verkehrs- und Standortdaten in sehr großen und unbestimmten geografischen Gebieten zu speichern”.

Im Detail:

1) Die EU-Kommission schlägt vor, die Vorratsdatenspeicherung auf alle Personen in Gebieten mit einer (leicht) überdurchschnittlich hohen Kriminalitätsrate anzuwenden. Da Städte in der Regel eine überdurchschnittlich hohe Kriminalitätsrate aufweisen, könnte dieser Ansatz mehr als 80 % der Bevölkerung einer Vorratsdatenspeicherung aussetzen. In dem Rechtsgutachten wird festgestellt, dass dieser Ansatz nicht zulässig ist und dass eine “hohe” (und nicht nur überdurchschnittliche) Inzidenz schwerer Straftaten in einem Gebiet vorliegen muss, um die Anwendung der Vorratsdatenspeicherung zu rechtfertigen.

2) Die EU-Kommission schlägt vor, die Vorratsdatenspeicherung auf alle Personen anzuwenden, die sich “in einem bestimmten Radius um sensible kritische Infrastrukturen, Verkehrsknotenpunkte, (…) wohlhabende Viertel, religiöse Gebäude, Schulen, Kultur- und Sportstätten, politische Versammlungen und internationale Gipfeltreffen, Parlamente, Gerichte, Einkaufszentren usw.” aufhalten. Laut Rechtsgutachten entspricht diese lange Liste nicht den rechtlichen Anforderungen. Durch Anwendung dieser Kriterien könnten “weite Bereichen, die einen großen Teil des Territoriums und der Infrastruktur eines Mitgliedstaats abdecken, sogar allgemein und wahllos [erfasst] werden”. Von den von der EU-Kommission aufgelisteten Orten dürften nur solche erfasst werden, die “regelmäßig ein sehr hohes Besucheraufkommen aufweisen” und “besonders anfällig für die Begehung schwerer Straftaten” sind. Auch für die Erstreckung auf das Umfeld diese Orte (“Radius”) gebe es keine Rechtsgrundlage. Prof. Dr. iur. Vilenas Vadapalas warnt, dass “insbesondere an Stätten für Gottesdienste und politische Versammlungen besonders sensible Aktivitäten stattfinden, die Religion und politische Meinungen offenbaren”.

3) Die Kommission schlägt vor, die Vorratsdatenspeicherung auf alle mit potenziellen Verdächtigen “verbundene Personen” anzuwenden, ohne zu überprüfen, ob von diesen Personen eine konkrete Gefahr der Begehung schwerer Straftaten ausgeht. Dies steht nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH und den Grundrechten. Breyer dazu:

“Die EU-Kommission muss jetzt endlich ihre Arbeit tun und die Grundsatzurteile gegen Vorratsdatenspeicherung EU-weit durchsetzen, anstatt hinter verschlossenen Türen an einer europaweiten Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung zu planen!”

Nationale Sicherheit: Kein Freifahrtschein für Massenüberwachung

Unter massivem Druck der EU-Regierungen hat der Europäische Gerichtshof den Mitgliedstaaten erlaubt, eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Telefonverbindungs- und Standortdaten anzuordnen, wenn dies ausnahmsweise erforderlich ist, um eine gegenwärtige und vorhersehbare Bedrohung der nationalen Sicherheit, wie z. B. einen Terroranschlag, zu verhindern. Ein französisches Verwaltungsgericht (Conseil d’Etat) hielt jedoch das ständige, allgemeine Risiko terroristischer Anschläge in Frankreich sowie Spionage und “ausländische Einmischung” für ausreichend. Unter Berufung auf dieses Urteil hat Frankreich die flächendeckende Vorratsdatenspeicherung dauerhaft beibehalten.

Dem Rechtsgutachten zufolge weist die Entscheidung des französischen Gerichts “keine spezifische Bedrohung der nationalen Sicherheit nach, weil … sie sich auf ein bloßes allgemeines Risiko des Terrorismus und vergangener Anschläge in Frankreich bezieht. Ich habe keine Beweise für die spezifische oder identifizierte Vorbereitung eines spezifischen zukünftigen Anschlags gefunden. Insofern steht die Entscheidung nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH und den Grundrechten.” Breyer kommentiert:

“Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass anlasslose Vorratsdatenspeicherung jemals auch nur einen einzigen terroristischen Anschlag verhindert hätte. Die Tatsache, dass in Frankreich mehrere Anschläge stattgefunden haben, obwohl eine pauschale Vorratsdatenspeicherung stattfand, spricht entscheidend dagegen. Davon abgesehen ist kaum vorstellbar, dass konkreten Terrorplänen nicht schon durch gezielte Datenspeicherung Verdächtiger begegnet werden könnte.”

Anfang dieser Woche verwarf der Europäische Gerichtshof bereits die französische Praxis, eine Vorratsdatenspeicherung mit dem Schutz der nationalen Sicherheit zu begründen, aber auf die Daten für ganz andere Zwecke (Strafverfolgung) zuzugreifen.

„Wir wissen längst, dass Gesetze zur flächendeckenden Vorratsspeicherung der Telefon-, Mobiltelefon- und Internetnutzung in keinem EU-Land einen messbaren Einfluss auf die Kriminalitätsrate oder die Aufklärungsquote haben, dass Verkehrsdatenabfragen auch ohne Vorratsdatenspeicherung selten erfolglos bleiben, dass die Aufklärungsquote von Internetdelikten etwa in Deutschland mit 58,6% schon ohne IP-Vorratsdatenspeicherung überdurchschnittlich hoch ist und nach Einführung des ersten Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung sogar gesunken ist,“ betont Breyer abschließend. „Wenn wir eines aus den totalitären Unrechtsregimen auf deutschem Boden gelernt haben, dann dass wir nie wieder einen Überwachungsstaat zulassen dürfen!“

Mit dem deutschen Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung wird sich der EuGH in Kürze befassen.