Chatkontrolle-Blockade wackelt – Chatkontrolle-Verweigerer sollen mit Foto- und Linkverbot bestraft werden
Die hochumstrittene verdachtslose Chatkontrolle könnte von den EU-Regierungen doch noch beschlossen werden, weil Frankreich sein bisheriges Veto aufgeben könnte. Das berichtet euractiv und bestätigen interne Unterlagen. Frankreich sieht den neuen Vorschlag einer „Uploadmoderation“ im Grundsatz als gangbaren Weg an.
Nach dem neuesten Gesetzentwurf mit Datum 28. Mai (Dokument 9093/24), der als „Uploadmoderation“ präsentiert wird, sollen Nutzer von Apps und Diensten mit Chatfunktionen gefragt werden, ob sie das verdachtslose und fehleranfällige Scannen und gegebenenfalls Ausleiten ihrer privat verschickten Bilder, Fotos und Videos akzeptieren. Mit „künstlicher Intelligenz“ sollen auch bisher unbekannte Bilder und Videos durchleuchtet werden. Lehnt ein Nutzer die Chatkontrolle ab, soll er gar keine Bilder, Fotos, Videos oder Links mehr verschicken oder empfangen können (Artikel 10). Ende-zu-Ende-verschlüsselte Dienste müssten die Chatkontrolle durch Einbau von Überwachungsfunktionen umsetzen, die „vor der Datenübertragung“ greifen sollen (sog. client-side scanning, Artikel 10a). Auf die Durchsuchung von Textnachrichten nach Hinweisen auf „Grooming“, die auch bisher kaum zum Einsatz kommt, soll genauso verzichtet werden wie auf das noch nie eingesetzte Scannen von Sprachkommunikation. Wohl als Zugeständnis an Frankreich sollen zudem die Chats der Mitarbeiter von Sicherheitsbehörden und Militär von der Chatkontrolle ausgenommen bleiben.
Bei der letzten Diskussion am 24. Mai machte der Juristische Dienst des Rates deutlich, dass eine verdachtslose massenhafte Chatkontrolle weiterhin vorgesehen sei und nach wie vor grundrechtswidrig bleibe. Die meisten EU-Regierungen halten trotzdem an der Chatkontrolle fest. Schon am 4. Juni wollen die EU-Regierungen weiter beraten.
„Der neueste Vorstoß zeigt, dass der extreme Ausgangsentwurf der EU-Kommission zur in der freien Welt einzigartigen Chatkontrolle im Kern unverändert durchgedrückt werden soll. Die ‚Upload-Moderation‘ mit vermeintlicher Nutzerzustimmung erinnert an die Fernsehshow ‚Lass dich überwachen‘. Messengerdienste rein textbasiert mit Bilder- und Linkverbot zu nutzen, ist im 21. Jahrhundert keine ernsthafte Option.
Es bleibt dabei: Millionen privater Chats und Privatfotos unbescholtener Bürger sollen mit unzuverlässiger Technik durchsucht und ausgeleitet werden, ohne dass die Betroffenen auch nur entfernt mit Kindesmissbrauch zu tun haben – das zerstört unser digitales Briefgeheimnis. So landen unsere Nacktfotos und Familienbilder bei Fremden, in deren Hände sie nicht gehören und bei denen sie nicht sicher sind. Trotz Lippenbekenntnissen zu Verschlüsselung soll mit Client-Side-Scanning bisher sichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung allgemein ausgehebelt werden, um unsere Smartphones zu Spionen umzufunktionieren – das zerstört sichere Verschlüsselung.
Mich alarmiert, dass das bisher kritische Frankreich die umverpackten Pläne plötzlich lobt und dadurch die bisherige Sperrminorität zu kippen droht. Wenn die EU-Regierungen tatsächlich mit dieser radikalen Position zur Chatkontrolle in die Trilogverhandlungen gehen sollten, droht das Parlament hinter verschlossenen Türen erfahrungsgemäß seine Ausgangsposition schrittweise aufzugeben und sich auf schlechte und gefährliche Kompromisse einzulassen, die unsere Sicherheit im Netz auf Spiel setzen.
Jetzt ist die Zeit für unser digitales Briefgeheimnis und sichere Verschlüsselung zu kämpfen!“
Dr. Patrick Breyer, Europaabgeordneter der Piratenpartei
„Nicht nur das eigentliche Ziel, auch der Zeitpunkt ist alarmierend. Genau jetzt, mitten im Endspurt des Wahlkampfes und in der anschließenden Phase, in der sich neu gewählte Abgeordnete erst zurechtfinden müssen, solch ein Tempo vorzulegen zeigt, worum es eigentlich geht. Den scheinbar schwächsten Moment des Parlamentes auszunutzen um diese demokratiegefährdenden Überwachungsphantasien Realität werden zu lassen. Ich bin entsetzt.”
Anja Hirschel, Informatikerin und Spitzenkandidatin der Piratenpartei zur Europawahl