Chatkontrolle-Blitzentscheidung? Ungarn will beispiellose Pläne der EU zur Messenger-Massenüberwachung doch noch durchsetzen
Schon morgen früh sollen die EU-Regierungen den umstrittenen Gesetzentwurf zur Chatkontrolle, der im Juni nach massiven Protesten von der Tagesordnung genommen wurde, jetzt doch unterstützen. Erreichen will die neue ungarische Ratspräsidentschaft dies nach einer Meldung des Nachrichtendienstes Contexte mit einer von Politico geleakten Detailänderung, nämlich dem Verzicht auf die besonders fehleranfällige Suche nach unbekanntem Material im Zuge der verpflichtenden Chatkontrolle (freiwillig soll sie möglich bleiben). Geplant bleibt aber ansonsten die automatisierte Durchsuchung und gegebenenfalls Ausleitung privater Chats, darunter auch Ende-zu-Ende-verschlüsselte Chats, die zuvor klassifizierte verdächtige Fotos oder Videos enthalten sollen. Lehnt ein Nutzer diese „Upload-Moderation“ seiner Chats ab, könnte er keinerlei Bilder, Videos oder URLs mehr senden oder empfangen. Signal und Threema haben angekündigt, dass sie ihre Dienste in der EU einstellen würden, wenn sie gezwungen würden, die vorgeschlagene automatisierte Massenüberwachung (sogenanntes „Client-Side Scanning“) umzusetzen.
Der ehemalige Europaabgeordnete der Piratenpartei, Patrick Breyer, ruft die Bürger jetzt dazu auf sich an die EU-Regierungen zu wenden: „Im Juni gab es unter massivem öffentlichen Druck noch eine hauchdünne Sperrminorität zur Rettung des Digitalen Briefgeheimnisses, aber kaum bemerkte Blitzaktionen, zwischenzeitliche Regierungswechsel und Minimalzugeständnisse können das schnell ändern. Falls die Chatkontrolle kommt, werden wir gängige sichere Messenger ganz einfach nicht mehr nutzen können – das bedeutet wir verlieren den Kontakt zu unseren Freunden und Kollegen in der ganzen Welt“, warnt Breyer. „Wollen wir wirklich, dass Europa weltweit führend beim Abhören unserer Smartphones und der flächendeckenden Überwachung der Chats von Millionen gesetzestreuer Bürger wird? Das Europäische Parlament ist überzeugt, dass diese orwellsche Chatkontrolle das dringliche Anliegen eines besseren Kinder- und Opferschutzes verrät, weil sie unweigerlich vor Gericht scheitern wird. Es fordert deshalb einen wirklich wirksamen Kinderschutz durch sicherere Apps, proaktive Säuberung des Internets und eine Pflicht zur Löschung illegaler Inhalte – nichts davon ist in dem dem neuesten Orban-Vorstoß vorgesehen, zu dem sich die Regierungen morgen positionieren sollen. Jetzt liegt es an uns ihn zu stoppen!“
Die Chatkontrolle auf vermeintlich „bekannte“ illegale Inhalte beschränken zu wollen, bezeichnet Breyer als Augenwischerei: „Egal mit welchem Ziel – auch die Post darf nicht einfach jeden Brief verdachtslos öffnen und durchschnüffeln. Gerade die von US-Konzernen schon heute freiwillig praktizierte Durchleuchtung nach vermeintlich bekannten Inhalten führt zur Ausleitung tausender völlig legaler privater Chats, zur Überlastung der Strafverfolger und zur massenhaften Kriminalisierung Minderjähriger. Massenüberwachung ohne jeden Anlass zerstört das digitale Briefgeheimnis und sichere Verschlüsselung, auf die wir alle und auch unsere Kinder dringend angewiesen sind.“
Breyers Infoportal zur Chatkontrolle: chatkontrolle.de