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Breyer: Rückkehr der verdachtslosen und flächendeckenden Vorratsdatenspeicherung stoppen!

Pressemitteilungen

Nach einem geleakten Diskussionspapier arbeitet die Europäische Kommission an Szenarien zur Wiedereinführung einer verdachtslosen und flächendeckenden Vorratsdatenspeicherung von Verbindungs-, Bewegungs- und Internetverbindungsdaten. In Deutschland liegt das Gesetz nach mehreren Gerichtsurteilen auf Eis.

Der Europaabgeordnete und Bürgerrechtler Dr. Patrick Breyer (Piratenpartei) kritisiert den Vorstoß scharf:

„Das pauschale Sammeln von Metadaten aller Menschen macht uns im Grunde genommen nackt im System und verstößt fundamental gegen EU-Grundrechte. Das wahllose Anhäufen von sensiblen Informationen über soziale Kontakte (auch Geschäftskontakte), Bewegungen und das Privatleben (z.B. Kontakte zu Ärzt:innen, Anwält:innen, Betriebsrät:innen, Psycholog:innen, Beratungsstellen etc.) von Millionen unverdächtiger Bürger*innen ist eine radikale Maßnahme der Massenüberwachung. Dass EU-Kommission und EU-Regierungen hinter verschlossenen Türen insgeheim einen neuen Vorstoß planen, ist skandalös.

Wir wissen längst, dass Gesetze zur flächendeckenden Vorratsspeicherung der Telefon-, Mobiltelefon- und Internetnutzung in keinem EU-Land einen messbaren Einfluss auf die Kriminalitätsrate oder die Aufklärungsquote haben[1], dass Verkehrsdatenabfragen auch ohne Vorratsdatenspeicherung selten erfolglos bleiben[2], dass die Aufklärungsquote von Internetdelikten etwa in Deutschland mit 58,6% schon ohne IP-Vorratsdatenspeicherung überdurchschnittlich hoch ist und nach Einführung des ersten Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung sogar gesunken ist. Kein anderes Überwachungsgesetz greift so tief in unsere Privatsphäre ein, wie eine unterschiedslose Vorratsspeicherung unserer Kontakte, Bewegungen und Internetverbindungen.

Ein EU-Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung würde nicht nur die nationalen Parlamente umgehen, sondern auch die nationalen Verfassungsgerichte. Damit droht erneut eine ‚Politikwäsche‘ auf EU-Ebene, gesteuert aus dem Hinterzimmer und ohne dass die EU-Regierungen die Verantwortung dafür übernehmen müssen.“

Breyer erläutert weiter, was die erwogenen Optionen bedeuten würden:

„1. Nur in Ausnahmesituationen, wie z.B. bei einem drohenden Terroranschlag, hat der Europäische Gerichtshof aus Gründen der ‚nationalen Sicherheit‘ eine pauschale Vorratsdatenspeicherung vorübergehend erlaubt, aber nach dem Vorbild des französischen Urteils zur Vorratsdatenspeicherung droht die EU-Kommission sie zur Regel und zum Dauerzustand zu machen. Mit immer und überall bestehenden ‚Risiken‘ könnte man die Vorratsdatenspeicherung leicht zum Dauerzustand machen. Dies pervertiert die EU-Rechtsprechung zum Schutz unserer Grundrechte auf Privatsphäre und Meinungsfreiheit.

2. Die vermeintlich ‚gezielte Vorratsdatenspeicherung‘ nach den Vorstellungen der EU-Kommission könnte Millionen unschuldiger Menschen betreffen, etwa Touristen, Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel oder gar an Mautstellen. Eine ‚überdurchschnittliche Kriminalität‘ dürfte es in jeder Stadt geben. Von allen guten Geistern verlassen ist die EU-Kommission, wenn sie Kommunikation und Bewegungen der Menschen in ‚wohlhabenden Wohngebieten‘, Kirchen, Schulen, Einkaufszentren und sogar von Demonstrationsteilnehmern pauschal auf Vorrat speichern und diese unter Generalverdacht stellen will. Das würde Religionsfreiheit und Beichtgeheimnis sowie Versammlungsfreiheit verletzen. In Parlamenten würden Abgeordnete total erfasst, in Gerichten das Anwaltsgeheimnis verletzt. Ich danke den EU-Bürokraten dafür, dass sie gründlich jede denkbare gesellschaftliche Gruppe gegen sich aufbringen, bis hin zu Sportfans.

3. Das Verbot anonymer Prepaidkarten und damit anonymer Kommunikation bedroht Whistleblower und Presseinformanten, politische Aktivisten und beratungssuchende Menschen in Not, die ohne den Schutz der Anonymität oftmals verstummen. Nur Anonymität verhindert die Verfolgung und Benachteiligung mutiger und hilfsbedürftiger Menschen und gewährleistet den freien Austausch mitunter lebenswichtiger Informationen.

4. Ein Quick-Freeze-Verfahren zur schnellen Sicherung der Daten Verdächtiger wäre sinnvoll und ist überfällig. Es wird bis heute blockiert von den Überwachungsfundamentalisten, die ideologisch auf einer totalen Datenspeicherung beharren.

5. Die vielleicht größte Gefahr aktuell geht von der vom EuGH zuletzt zugelassenen IP-Vorratsdatenspeicherung aus, die es dem Staat ermöglichen würde, die private Internetnutzung von Normalbürgern auf Monate hinaus zu durchleuchten und Pseudonyme aufzuheben. Der Inhalt unserer Internetnutzung wird von den Internetanbietern verbreitet illegal in Logfiles auf Vorrat gespeichert, und eine IP-Vorratsdatenspeicherung würde die Rückverfolgung jedes Klicks ermöglichen. Straftäter können diese Totalerfassung mit Anonymisierungsdiensten leicht umgehen, aber den Normalnutzer würde sie gläsern machen.

Dass die EU-Kommission zur Vorratsdatenspeicherung und Zwangsidentifizierung jetzt auch noch OTT-Dienste wie Messengerdienste oder Videotelefonie verpflichten will, geht selbst über die für nichtig erklärte EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung und auch über nationale Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung weit hinaus. Das droht wirklich jeden vertraulichen Kontakt zu treffen.

Wenn wir eines aus den totalitären Unrechtsregimen auf deutschem Boden gelernt haben, dann dass wir nie wieder einen Überwachungsstaat zulassen dürfen. Jetzt müssen alle betroffenen Gruppen sehr frühzeitig auf die Barrikaden gehen, um die drohende Totalerfassung und -identifizierung zu stoppen.“

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