Benachrichtigungsaktion zu Handy-Ortungen: Einwände der Staatsanwaltschaften widerlegt
Durch Handy-Ortungen („nicht-individualisierte Funkzellenabfragen“) geraten jährlich Millionen Bürger ins Visier der Ermittler, nur weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Die Verhältnismäßigkeit dieses massenhaften Grundrechtseingriffs wird sehr kontrovers diskutiert. Doch viele reden nicht mit, weil ihnen nicht klar ist, wie häufig sie selbst geortet werden.
Mit der bundesweiten Aktion „Handy-Ortung: Wir wollen’s wissen!“ der Piratenpartei können Bürger seit einigen Monaten eine Benachrichtigung von Ortungen ihres Handys fordern. Bisher unterstellen die Staatsanwaltschaften vielfach, die Bürger hätten kein Interesse daran, von einer Ortung ihres Handys benachrichtigt zu werden (§ 101 Abs. 4 S. 4 StPO). Deshalb stellt die Piratenpartei Formulare bereit, mit denen man das Gegenteil bekunden kann. Die Staatsanwaltschaften übergehen diesen Wunsch in ihren Antworten jedoch immer wieder mit einigen Standardargumenten, wie sich gezeigt hat (GStA Schleswig, GStA Köln, GStA Hamm, GStA Düsseldorf).
Vorab ist zu hinterfragen, ob der Benachrichtigungswunsch überhaupt Voraussetzung einer Benachrichtigung ist. Nach Meinung des Sächsischen Datenschutzbeauftragten richtet sich eine Funkzellenabfrage ohnehin gegen alle Betroffenen, die mithilfe einer Bestandsdatenauskunft identifiziert wurden, weshalb es nur zufällig Mitbetroffene nicht gebe (S. 48, 32). Nach dieser Sichtweise ist für ein Absehen von einer Benachrichtigung gemäß § 101 Abs. 4 S. 4 StPO von vornherein kein Raum.
Sieht man die Georteten nicht als Betroffene (Zielpersonen) der Maßnahme an, kommen die Gegenargumente der Staatsanwaltschaften ins Spiel:
Standardargument 1: „Es gibt keine Rechtsgrundlage für die Speicherung und Verarbeitung Ihres Benachrichtigungswunsches.“
Mit dem Benachrichtigungswunsch willigt der Betroffene in die Speicherung und Verarbeitung seiner Daten für Benachrichtigungen ein. Deshalb braucht es entgegen der Argumentation der Staatsanwaltschaften keine Rechtsgrundlage (§ 4 Abs. 1 BDSG).
Standardargument 2: „Wir sind zur Speicherung Ihres Benachrichtigungswunsches nicht verpflichtet.“
§ 101 StPO regelt, unter welchen Umständen eine Pflicht zur Benachrichtigung besteht. Die Staatsanwaltschaft kann dieser Pflicht nur durch Speicherung des Benachrichtigungswunsches nachkommen. Denn wenn „unerheblich Betroffene“ ein Interesse an einer Benachrichtigung anmelden, sind sie zu benachrichtigen. Deswegen folgt aus § 101 StPO die Verpflichtung der Staatsanwaltschaften zur Speicherung von Benachrichtigungswünschen.
Standardargument 3: „Wir wissen nicht, ob Sie Ihr Handy zum Zeitpunkt der Ortung bei sich trugen oder jemand anders.“
Diese Frage ist unerheblich. Der Anschlussinhaber ist von einer Ortung immer betroffen, weil sich daraus die Kenntnis ableiten lässt, dass die von ihm registrierte SIM-Karte an einem bestimmten Ort genutzt wurde (Personenbezug). Der Gesetzgeber kann kein generelles Leerlaufen der ausdrücklichen Benachrichtigungspflicht für Verkehrsabfragen gewollt haben, nur weil sich aus einer Verkehrsdatenabfrage der tatsächliche Nutzer nicht erkennen lässt.
Standardargument 4: „Nachforschungen zur Feststellung der Identität Betroffener sind nur vorzunehmen, wenn dies unter Berücksichtigung der Eingriffsintensität der Maßnahme gegenüber dieser Person, des Aufwands für die Feststellung ihrer Identität sowie der daraus für diese oder andere Personen folgenden Beeinträchtigungen geboten ist.“
Nach der Identität von Personen, die eine Benachrichtigung verlangt haben, muss nicht mehr geforscht werden. Sie steht bereits fest.
Gerichtlich geklärt ist die Frage, ob die Betroffenen von Funkzellenabfragen ein Recht auf Benachrichtigung haben, bisher ersichtlich nicht. Dabei dürfte jeder, der von einer Funkzellenabfrage betroffen war (z.B. Teilnehmer an den G20-Gipfelprotesten in Hamburg), die gerichtliche Überprüfung des Absehens von einer Benachrichtigung verlangen können (§§ 101a Abs. 6, 101 Abs. 7 StPO; vgl. OLG Celle, Beschluss vom 24.02.2012, 2 Ws 43/12, 2 Ws 44/12; OLG Stuttgart, Beschluss vom 13. Juli 2016 – 6 – 2 StE 1/14 – m.w.N.). Dies sollte klug, mit guter Vertretung und mit guten Argumenten in Angriff genommen werden.
Unterdessen kann der Druck auf eine politische Lösung erhöht werden, wenn möglichst viele Bürger an der Aktion „Wir wollen’s wissen!“ teilnehmen und eine Benachrichtigung einfordern.
Ein erster Erfolg hat sich bereits eingestellt: Berlin will in Kürze ein Internetportal freischalten, über das man Benachrichtigungen beantragen kann. Das ist der richtige Weg. Auch anderswo haben es die Staatsanwaltschaften in der Hand, ein automatisiertes Informationsverfahren ohne viel Aufwand einzuführen. Nach einem Gutachten des Unabhängigen Landesdatenschutzzentrums kommt eine Information per SMS, die öffentliche Bekanntmachung von Funkzellenabfragen oder die Einbindung von Treuhändern in Frage. Insbesondere ein Opt-In-Verfahren, in dem man eine Information per SMS an die geortete Handynummer beantragen kann, ist datenschutzfreundlich umzusetzen.
Die individuelle Betroffenheit von Massenüberwachung offenzulegen, ist ein wichtiger, Bewusstsein bildender Schritt auf dem Weg zum digital mündigen und wehrhaften Bürger.
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