Patrick Breyer: Sperrklausel jetzt auch in Schleswig-Holstein abschaffen!
Zum heutigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungswidrigkeit der 3%-Sperrklausel bei der Europawahl erklärt der Abgeordnete Dr. Patrick Breyer von der Piratenpartei:
“Heute ist ein großer Tag für die Demokratie. Ein Kartell der etablierten Parteien aus CDU, SPD, Grüne und FDP ist erneut daran gescheitert, unter Verstoß gegen das Grundgesetz unliebsame Konkurrenz ausschließen zu wollen. Wir begrüßen die Entscheidung der Verfassungshüter. Sie stärkt das Europaparlament, muss aber auch Konsequenzen für Schleswig-Holstein haben:
Wenn das Europaparlament ohne Sperrklausel arbeiten kann, kann das auch der Schleswig-Holsteinische Landtag. Deshalb berät der Landtag auf Antrag der PIRATEN aktuell über eine Abschaffung, zumindest aber eine deutliche Absenkung der Demokratiesperre und die Einführung einer Ersatzstimme. Sechs von neun namhaften Experten unterstützen eine Absenkung der Sperrklausel zur Landtagswahl auf 3%,[1] weil so der Verfall abertausender von Stimmen verhindert werden kann. Die Sperrklausel droht sogar die Mehrheit der politischen Lager umzukehren und so den Wählerwillen in sein Gegenteil zu verdrehen. Ohne das Risiko des Stimmenverfalls könnten die Unterstützer kleiner Parteien endlich auch Minderheitenpositionen eine Stimme geben. Schleswig-Holstein könnte zu einem Leuchtturm für mehr Demokratie in Deutschland werden.
In den Kommunen wird derzeit leider umgekehrt über die Wiedereinführung einer Sperrklausel bei der Kommunalwahl diskutiert. Tatsächliche Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Kommunalparlamente gibt es aber nicht. Im Gegenteil: Die neu gewählten Kommunalparlamente leisten hervorragende Arbeit, nicht zuletzt weil sie pluralistischer besetzt sind. Einzelne Mitglieder oder kleinere Fraktionen sind ein Gewinn für jedes Parlament, weil sie frischen Wind ins Parlament bringen. Es ist eine Beleidigung, kleinen Parteien pauschal zu unterstellen, monothematisch oder populistisch zu arbeiten. Zweifellos unterstreicht der Wegfall der Sperrklausel die Verantwortung aller demokratischen Parteien und der Zivilgesellschaft, Rechtspopulisten und Nationalisten mit politischen Mitteln und viel Engagement entschieden zu begegnen. Bei der Verteidigung unserer Demokratie ist die Gesellschaft entscheidend, nicht Paragrafen.”
[1] Stellungnahmen zur Abschaffung oder Absenkung der Sperrklausel zur Landtagswahl
Kommentare
Bisher scheint darüber nur im “alles oder nichts”-Modus diskutiert zu werden. Es gibt eine bessere (d.h. rechtlich leicht durchsetzbare) Möglichkeit als die komplette Abschaffung der Sperrklausel:
http://www.hauke-laging.de/ideen/abgeordnete_ohne_stimmrecht/
Ich halte die aktuelle Handhabung der Sperrklausel für offensichtlich rechtswidrig, weil die vom BVerfG akzeptierten Gründe lediglich den Ausschluss von Abstimmungen rechtfertigen, nicht aber den kompletten
Ausschluss von der Parlamentsarbeit, der somit aus einer ganzen Reihe von Gründen eine *nicht gerechtfertigte* massive Verletzung der Rechte von Wählern und Parteien darstellt (wie das BVerfG in seinen Urteilen selber ausführt, kann man direkt zitieren).
Besonderes Augenmerk verdient dabei die Betrachtung der Wahlaussichten bei der Folgewahl. Der gravierende Unterschied in der politischen Arbeitsfähigkeit zwischen Parteien mit 5,0% und 4,9%, der sich aus dem status quo ergibt, ist von großer Bedeutung für den Ausgang der
Folgewahl, was sehr problematisch ist: Parteien halten sich damit Konkurrenz vom Hals. Der Gesetzgeber ist naturgemäß in dieser Frage nicht neutral, was die rechtlichen Anforderungen an den Parlamentsausschluss noch verschärft.