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10 Fakten zur BILD-Falschmeldung, Diebstahl durch Flüchtlinge werde nicht verfolgt (“Kieler Polizei-Skandal”) [ergänzt]

Freiheit, Demokratie und Transparenz

piraten-geheimvertragBILD (“Polizei-Skandal”) und Kieler Nachrichten (“Kapitulation”) behaupten heute, die Kieler Polizei habe “einfache Delikte” wie Landendiebstahl, die von unregistrierten Flüchtlingen ohne Papiere begangen werden, regelmäßig nicht strafrechtlich verfolgt. GdP, CDU-Chef Günther und FDP-Chef Kubicki sprangen mit Empörungsrhetorik auf den Zug auf. 10 Fakten zur Richtigstellung:

  1. Da die Presse nur selektiv zitiert und dadurch der Eindruck entstehen kann, es gäbe etwas zu verbergen, veröffentliche ich die Dokumente von Polizei und Staatsanwaltschaften hier im Volltext.
  2. Es ist falsch, dass “einfache Delikte” von unregistrierten Flüchtlingen in Kiel nicht strafrechtlich verfolgt worden seien. Es wurden stets Ermittlungsverfahren eingeleitet. Diese Verfahren wurden anschließend allerdings von der Staatsanwaltschaft wieder eingestellt, weil dies – nicht nur bei Flüchtlingen – bei “einfachen Straftaten”, geringem Schaden und keiner Vorbelastung üblich ist. Das ist gesetzlich bei Geringfügigkeit so vorgesehen und beruhte auf keiner Anweisung.
  3. Nach der Vereinbarung zwischen Kieler Polizei und Staatsanwaltschaft ist in solchen Fällen seit Oktober 2015 regelmäßig keine Personenfeststellung oder erkennungsdienstliche Behandlung (Foto, Fingerabdruck) papierloser Flüchtlinge erfolgt. Das Problem: Ohne erkennungsdienstliche Behandlung können Wiederholungstäter nicht erkannt werden, bei denen eine Verfahrenseinstellung nicht ohne weiteres erfolgt.
  4. Deswegen hat die Staatsanwaltschaft wenige Tage nach der Kieler Vereinbarung anders entschieden: auf eine erkennungsdienstliche Behandlung solle bei papierlosen Flüchtlingen nicht verzichtet werden. Das ist gut so, denn niemand darf den Eindruck bekommen, er könne nach Belieben klauen.
  5. Die Behauptung des FDP-Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Kubicki, die unterlassene Identitätsfeststellung sei “Strafvereitelung im Amt” gewesen, ist falsch und populistisch. Strafvereitelung setzt voraus, dass jemand an sich hätte bestraft werden müssen – doch es gibt keinerlei Beleg dafür, dass die Ermittlungsverfahren bei erkennungsdienstlicher Behandlung nicht ebenfalls wegen Geringfügigkeit eingestellt worden wären.
  6. Das Problem: Die obersten Staatsanwälte haben ihre Entscheidung zur durchgängigen erkennungsdienstlichen Behandlung Papierloser nicht an die Kieler Polizei weitergegeben. Auch in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe mit der Polizei wurde das Thema nicht wie geplant angesprochen. Wie dieser Fehler passieren konnte, ist unerklärlich. Dementsprechend hat man bei der Kieler Polizei weiterhin auf erkennungsdienstliche Behandlung in den genannten Fällen verzichtet.
  7. In Kiel wurden seither 20 Ladendiebstähle mit Flüchtlingsbezug registriert, ohne dass die Identität sicher festgestellt wurde oder eine erkennungsdienstliche Behandlung erfolgte. Bei wie vielen sonstigen “einfachen Straftaten” mit Flüchtlingsbezug (außer Ladendiebstähle) auf eine erkennungsdienstliche Behandlung papierloser Personen verzichtet wurde, ist unbekannt. Deswegen lässt sich nicht sagen, dass der Erlass nur in 20 Fällen angewandt worden wäre.
  8. Flüchtlinge begehen verhältnismäßig wenig Ladendiebstähle gemessen an ihrer Zahl und der allgemein unter Nicht-Flüchtlingen üblichen Straffälligkeit.
  9. Ob anderswo im Land mithilfe erkennungsdienstlicher Behandlung papierlose Wiederholungstäter “einfacher Straftaten” festgestellt worden sind, soll bis nächste Woche geklärt werden. Erst dann lässt sich einschätzen, ob die Informationspanne der Staatsanwaltschaft und das Unterlassen erkennungsdienstlicher Behandlung Folgen gehabt haben dürfte oder nicht.
  10. Kein Verständnis habe ich dafür, dass die Kieler Polizei, das Innenministerium und die Generalstaatsanwaltschaft gestern allesamt nicht in der Lage waren, auf Presseanfragen die Fakten richtig darzustellen und auch von sich aus an die Öffentlichkeit zu gehen, um einer weiteren Verunsicherung der Bürger und Stimmungsmache gegen den Staat entgegenzuwirken. Die Skandalmeldung, Flüchtlingskriminalität sei “nicht verfolgt” worden, hätte nach meiner Einschätzung auf diese Weise von vornherein vermieden werden können. Wenn die BILD-Zeitung bei ihrem Recherche-Bericht zur Abwechslung einmal nicht Falschinformationen verbreitet haben sollte, war das Krisenmanagement und die Reaktion der Pressestellen unangemessen und verfehlt.

Weitere Informationen berichtet der NDR.
Ergänzung vom 01.02.2016:
Heute war in den Medien zu lesen, das Innenministerium habe über die Kieler Praxis, papierlose Flüchtlinge in der Regel nicht erkennungsdienstlich zu behandeln, Bescheid gewusst. Fakt ist: Laut Protokoll einer Amts- und Behördenleiterbesprechung am 12.11.2015 (hier anonymisiert nachlesbar) wurde Ministerialbeamten des Innenministeriums berichtet, “dass in der Regel bei geringfügigen Straftaten seitens der StA im Rahmen der Verhältnismäßigkeit von einer ED-Behandlung abgesehen wird.” Von der Kieler Vereinbarung mit der Staatsanwaltschaft ist allerdings keine Rede. Die Verantwortung für das Fortbestehen der Vereinbarung sehe ich daher nicht beim Innenministerium, sondern bei der Staatsanwaltschaft. Das Innenministerium ist allerdings für das katastrophale Krisenmanagement und die Verunsicherung der Bürger durch Falschinformationen verantwortlich zu machen (siehe meine Bewertung von letzter Woche oben).
In den bundesweit gültigen Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) ist übrigens eindeutig festgelegt: “Die persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten, besonders die richtige Schreibweise seines Familien- und Geburtsnamens, sein Geburtstag und Geburtsort und seine Staatsangehörigkeit, sind sorgfältig festzustellen… Bei Ausländern sind die Paßnummer und die Namen der Eltern (einschließlich deren Geburtsnamen) festzustellen.”
Im Übrigen weise ich darauf hin, dass die Gewerkschaft der Polizei in Nordrhein-Westfalen selbst vorgeschlagen hat, Delikte mit geringer krimineller Energie wie Schwarzfahren, Ladendiebstähle oder Cannabiskonsum als Ordnungswidrigkeit zu ahnden, statt mit hohen Aufwand Strafverfahren einzuleiten und einzustellen. So könne eine schnellere Sanktionierung erfolgen und Kapazitäten für die Verfolgung schwerer Straftaten (z.B. organisierter Wohnungseinbruch) freigesetzt werden. Bei Ersttätern ohne organisierten Hintergrund halte ich diese Überlegungen für richtig. Sie machen aber weder eine Identitätsfeststellung überflüssig noch darf es Sonderregeln für papierlose Flüchtlinge geben.

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